Die aktuelle Kolumne

Die Post-2015 Entwicklungsagenda: erster Spatenstich für eine neue globale Entwicklungsagenda

Janus, Heiner / Stephan Klingebiel
Die aktuelle Kolumne (2012)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 10.09.2012)

Bonn, 10.09.2012. Das Ritual ist bekannt: Staats- und Regierungschefs aus aller Welt treffen sich ab dem 25. September zur jährlichen Generalversammlung der Vereinten Nationen (VN) in New York. Diesmal stehen u. a. die ersten Schritte zur Ausarbeitung einer neuen globalen Entwicklungsagenda an. Es geht darum, ein Nachfolgeabkommen für die Millennium Development Goals (MDGs) zu entwerfen, das nach 2015 gelten soll. Vieles ist noch unklar. So lässt sich nicht absehen, ob tatsächlich ein breiter Konsens aller Länder erreicht wird, oder für ein Post-MDG-Dokument nur eine „Koalition der Willigen“ zustande kommt.

Allerdings ist klar: die heiße Phase der inhaltlichen Debatte hat begonnen. Ein hochrangiges internationales Beratergremium wurde durch VN-Generalsekretär Ban Ki-moon bereits einberufen, um Vorschläge für eine neue Entwicklungsagenda zu erarbeiten. Aus Deutschland wird der entwicklungspolitisch versierte ehemalige Bundespräsident Horst Köhler in dem Gremium mitarbeiten. Bis zum nächsten MDG-Gipfel bei der VN-Generalversammlung im September 2013 soll das Beratergremium Vorschläge für ein neues Zielsystem vorlegen.

Die Kontroversen um ein MDG-Nachfolgeabkommen nehmen erwartungsgemäß an Fahrt auf. Beispielsweise: Sollen die ursprünglichen MDGs inhaltlich nur verbessert werden oder ist es an der Zeit, ein komplett neues Rahmenwerk zu entwerfen? Wie sollte der Verhandlungsprozess gestaltet sein? Haben überhaupt alle Länder – etwa die USA, die eine MDG-kritische Haltung erkennen lassen, oder die Schwellenländer - ein Interesse an einer neuen Entwicklungsagenda? Schließlich: Mit welchen Mitteln und Instrumenten können neue Ziele erreicht werden?

In Erwartung zahlreicher Debatten und zäher Beratungsprozesse müssen schon jetzt die richtigen Weichen gestellt werden. Dabei gilt es, für das kommende Jahr insbesondere drei Herausforderungen bei der Ausarbeitung der neuen Agenda zu berücksichtigen:

Armuts- und Umweltagenda verknüpfen
Globale Armutsreduzierung und sozialer Fortschritt können sich nur im Rahmen nachhaltiger Entwicklung und in Einhaltung planetarer Grenzen vollziehen. Der Rio+20-Gipfel hat dies anerkannt indem er eine Expertengruppe mit der Ausarbeitung von Sustainable Development Goals (SDGs) bis zur VN-Generalversammlung im September 2013 beauftragt hat. Wie so häufig sind damit Parallelstrukturen innerhalb der Vereinten Nationen geschaffen worden. Das Mandat der SDG-Gruppe überschneidet sich mit dem der MDG-Expertengruppe mit Horst Köhler. Dahinter steht ein langjähriger Zielkonflikt zwischen der Agenda traditioneller Armutsreduzierung und der Agenda nachhaltiger Entwicklung, der bis in die 1980er Jahre zurückgeht.

Für Armutsreduzierung sind Wirtschaftswachstum und soziale Sicherheitssysteme notwendig, was zwangsläufig mit gesteigertem Ressourcenverbrauch verbunden ist, wohingegen ökologische Nachhaltigkeit auf die Einhaltung planetarer Grenzen abzielt. Oft sind solche Zielkonflikte nur schwer zu lösen. Dennoch gibt es eine Vielzahl von Bekenntnissen und Ansätzen, um nachhaltige Entwicklung besser mit Armutsreduzierung zu verknüpfen. Dies belegen unter anderem Initiativen zu „inclusive green growth“. Für die Post-2015-Verhandlungen müssen deshalb alle Beteiligten die Chance nutzen, um beide Agenden, MDG und SDG, zusammenzuführen.

Kein sinnvoller „globaler Rahmen“ ohne Schwellenländer
Jede globale Übereinkunft muss von einem breiten Konsens getragen werden. Für den Post-2015-Prozess ist daher fundamental, dass dynamische Volkswirtschaften wie China, Indonesien und Brasilien (zusammen mit anderen Ländergruppen) frühzeitig nicht nur in die Diskussions- und Verhandlungsprozesse einbezogen werden, sondern diese aktiv mitgestalten. Ansonsten wird sich ein neuer globaler Zielkatalog mit einer ausreichenden Akzeptanz nur schwerlich oder gar nicht umsetzen lassen. Hierfür ist zentral, dass die Verhandlungsprozesse offen sind für neue Ideen, Anliegen und Perspektiven.

Es ist noch weitgehend unklar, wie diese Länder überhaupt zur Notwendigkeit einer Post-2015 Agenda stehen. Für den Post-2015-Vorbereitungsprozess ist daher ein auf allen Ebenen (formale Konsultationen, offene Diskussionsformate etc.) geführter Dialog über Sinn, Nutzen und Ausgestaltung globaler Entwicklungsziele elementar. Deutschland sowie die europäischen Akteure insgesamt sind gut beraten, wenn sie dies zu einem ihrer Kernanliegen des Vorbereitungsprozesses machen.

Hilfe-Fokus zu eng
Unterstützung von Entwicklungsländern durch Entwicklungszusammenarbeit (EZ) war und ist ein wichtiges Instrument, um Fortschritte bei den MDGs zu erreichen. Dies wird weiterhin für eine Reihe von armen und fragilen Ländern wichtig, vielfach sogar zentral bleiben; die Debatte um EZ-Wirksamkeit bleibt auch aus diesem Grund aktuell. Gleichzeitig hat der EZ-Fokus der vergangenen Jahre dazu beigetragen, den Blick nicht auf andere Bereiche zu richten. So ist das Klischee vom EZ-abhängigen Entwicklungsland zunehmend unzutreffend. Für immer mehr Länder spielt EZ eine nur marginale Rolle.

Wenn der Post-MDG-Ansatz global sein will, sollte deutlich sein, dass EZ nur eine Teilantwort sein kann. Selbst arme Entwicklungsländer finanzieren durch Steuern etc. zu einem großen Teil ihre Entwicklungsanstrengungen selbst. Darüber hinaus sollte für die Post-2015-Diskussionen der globale Rahmen und die Weltwirtschaftsordnung sehr viel mehr Beachtung finden.

Wie können beispielsweise die internationalen Finanzmärkte so gestaltet sein, dass sie möglichst wenig Schaden anrichten und möglichst entwicklungsförderlich sind – dies ist nicht zuletzt im Interesse der OECD-Länder selbst. Hier sind innovative Ansätze gefragt und könnten gerade auf EU-Ebene befördert werden. Ein wichtiger europäischer Beitrag könnte darin bestehen, dass die EU zielgerichtet darauf hinwirkt, dass internationale Regelungen („internationale Regime“) in unterschiedlichen Politikfeldern (etwa zu internationalen Kapitalflüssen) entwicklungsfreundlich gestaltet werden.

Deutschland hat vielfältige Mitgestaltungsmöglichkeiten an einem neuen globalen Rahmen. Um Gehör auf internationaler Ebene zu finden, sollte Deutschland dabei für ein möglichst europäisches Vorgehen werben und eintreten.

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