Die aktuelle Kolumne

Die neue EU-Entwicklungspolitik: eine ehrgeizige Agenda für den Wandel?

Koch, Svea / Mikaela Gavas / Mark Furness
Die aktuelle Kolumne (2011)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 24.10.2011)

Bonn, London 24.10.2011. Während sich die dunklen Wolken der Euro-Krise diese Woche über Brüssel verdichten, ist die Stimmung unter Europas Staats- und Regierungschefs so schlecht wie lange nicht. Ein kleiner Teil des Brüsseler Europaviertels sieht jedoch ein wenig Licht am Horizont. Trotz der wachsenden internen Probleme ist die EU bestrebt, sich ihrer globalen Verantwortung zu stellen: Die Europäische Kommission zahlt jedes Jahr mehr als 11 Milliarden Euro an Entwicklungshilfe aus. Wie EU-Entwicklungskommissar Andris Piebalgs betont, ist die Tatsache, dass die EU der weltgrößte Geber von Entwicklungshilfe ist, eine der Erfolgsgeschichten Europas: Mit diesem Geld erhielten 31 Millionen Haushalte Zugang zu sauberem Trinkwasser, fünf Millionen Kinder Impfschutz gegen Masern und 85.000 Schülerinnen in Entwicklungsländern die Möglichkeit, weiterführende Schulen zu besuchen.

Nach fast einem Jahr öffentlicher Konsultationen, interner Verhandlungen und zahlreicher Entwürfe hat die Kommission am 13. Oktober 2011 ihre jüngste entwicklungspolitische Strategie veröffentlicht. Sie trägt den vielversprechenden Titel „<link http: ec.europa.eu europeaid what development-policies documents agenda_for_change_de.pdf _blank>Die Wirksamkeit der EU-Entwicklungspolitik erhöhen: eine Agenda für den Wandel“. Aber ist der neue Vorschlag wirklich eine „Agenda für den Wandel“? Ist er ehrgeizig genug, die Kommission für globale Herausforderungen wie Armut, die Nahrungsmittelkrise, den Konjunkturrückgang, Klimawandel und Unsicherheit zu rüsten? Kann er tatsächlich die Wirksamkeit erhöhen?

Bis jetzt klingen die meisten Medienreaktionen so, als sei es der Kommission gelungen, diesen Eindruck zu vermitteln. Überschriften wie „Keine Entwicklungshilfe mehr für China“ und „EU bringt umstrittene Entwicklungshilfereform auf den Weg“ lenken den Blick auf drei Neuerungen: (1) die Konzentration der Hilfe auf zwei Bereiche: verantwortungsvolle Regierungsführung und Menschenrechte mit strikterer Konditionalität sowie nachhaltiges Wachstum unter Betonung der Privatwirtschaft; (2) die Einführung differenzierter Entwicklungspartnerschaften, einhergehend mit der Einstellung von Entwicklungshilfe für aufstrebende Mächte und weiter fortgeschrittene Länder; (3) der Versuch, die Zusammenarbeit von Kommission und Entwicklungsagenturen der Mitgliedstaaten zu intensivieren.

Was gibt es also Neues?
Die Absicht der Kommission, die Hilfe auf Programme zur Förderung verantwortungsvoller Regierungsführung zu konzentrieren und die Vergabe von Budgethilfe an die Verbesserung der Demokratie- und Menschenrechtslage zu koppeln, ist eine direkte Reaktion auf den arabischen Frühling. In den vergangenen Jahren wurde Konditionalität von Entwicklungshilfe als „Vertrag“ verstanden. Damit wird die Tatsache gewürdigt, dass sich Wirksamkeit nur erzielen lässt, wenn Länder Eigenverantwortung für Programme übernehmen, selbst wenn ihnen demokratische Strukturen fehlen. In der neuen Agenda ist von einer „strikteren Konditionalität“ die Rede, die „in bestimmten Fällen angezeigt sein wird“. Diejenigen Partner, die sich guter Regierungsführung verschreiben, erhalten Budgethilfe, umbenannt in „Verträge über verantwortungsvolle Regierungsführung und Entwicklung“. Vernachlässigt ein Land seine demokratischen Verpflichtungen, sollen Mittel an der Regierung vorbei in die Hände lokaler Akteure und zivilgesellschaftlicher Organisationen gelenkt werden. Allerdings wird es nicht ganz einfach sein, dieses ehrenwerte Versprechen einzuhalten. EU-Behörden wissen aus eigener Erfahrung mit autokratischen Ländern, dass es schwer ist, Bürgerbewegungen zu unterstützen, besonders dann, wenn sie für politischen und wirtschaftlichen Wandel kämpfen.

Die Absicht der Kommission, die Entwicklungshilfe für Länder zu überprüfen, die wohlhabend genug erscheinen, ihre Entwicklung aus eigener Kraft zu finanzieren, könnte sich als bedeutende Veränderung erweisen. Derzeit gewährt die Europäische Union 143 Ländern Entwicklungshilfe, von denen viele beachtliche Fortschritte erzielt haben. Soll die Hilfe eingestellt werden, sind zwei Faktoren zu beachten: Erstens leben in vielen Ländern trotz rasanten wirtschaftlichen Wachstums nach wie vor viele arme Menschen. In Indien zum Beispiel leben mehr Menschen in Armut als auf dem gesamten afrikanischen Kontinent. Wer das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen als Basis für die Zuweisung von Entwicklungshilfe nutzt, missachtet die Tatsache, dass nationale Durchschnittswerte nur wenig über die Potenziale eines Landes aussagen, Armut zu bekämpfen. Kleinere Länder wie Ghana und Sambia werden nun zwar als „Länder mit mittlerem Einkommen“ eingestuft, benötigen aber weiterhin internationale Hilfe. Zweitens lässt sich in einer globalisierten Welt das übergreifende Ziel der EU, Armut zu reduzieren, nicht davon trennen, wie Europa andere globale Herausforderungen angeht, etwa den Klimawandel, ansteckende Krankheiten und Ernährungsunsicherheit. Der Vorschlag, die Entwicklungshilfe für einflussreiche Schwellenländer einzustellen, setzt eine Strategie seitens der Kommission voraus, wie sich neue Formen der Zusammenarbeit mit diesen Ländern zur Bewältigung globaler Herausforderungen und zur Bereitstellung globaler öffentlicher Güter entwickeln lassen. Hierzu findet sich in der Agenda für den Wandel nur wenig.

Zuletzt greift das Kommissionsdokument das Problem der zwischen EU und Mitgliedstaaten unzureichend abgestimmten Entwicklungsprogramme auf. Vorgeschlagen werden ein „einziges gemeinsames Programmierungsdokument“ für Partnerländer, ein „einziger Vertrag mit der EU“ über Budgethilfe und ein „gemeinsamer Rahmen für die Messung und Mitteilung der Ergebnisse“. Allerdings bleibt offen, wer diese gemeinsame Programmierung koordinieren soll. Sinnvollerweise sollten die Kommission und der Europäische Auswärtige Dienst in der Zusammenarbeit mit Partnerländern über die EU-Delegationen die Führung übernehmen. Nach diesem Modell wird derzeit das erste gemeinsame Programmierungsdokument der EU für das jüngste Land der Welt erarbeitet: Südsudan. Aber auch wenn diese Bemühungen Erfolg haben, wird die Kommission Mitgliedstaaten noch überzeugen müssen, dass sich die gemeinsame Programmierung auch für Länder eignet, in denen bilaterale Interessen auf dem Spiel stehen.

Ein Konzept für Entwicklungspolitik das über Entwicklungshilfe hinausgeht
Die Agenda ist in erster Linie ein „Entwicklungshilfekonzept“. Im Vordergrund steht das Bemühen der Kommission, eine leistungsfähigere Hilfsorganisation zu werden. Bestimmungen zur Politikkohärenz betonen, dass die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit keinen Schaden nehmen darf. Doch gerade die EU-Politiken, die den Entwicklungsländern am meisten schaden– die Landwirtschafts- und die Fischereipolitik – werden nicht erwähnt.

So oder so, ist Entwicklungshilfe allein nicht genug. In einem sich wandelnden globalen geopolitischen Kontext haben komplexe politische, wirtschaftliche und ökologische Herausforderungen zur Bereitstellung globaler öffentlicher Güter einen größeren Einfluss auf die Entwicklung von Partnerländern, als Entwicklungshilfe. Leider wird in der Agenda nicht offen die Notwendigkeit angesprochen, eine EU-weite Strategie für eine globale Entwicklung zu erarbeiten, die auf beiderseitigen Interessen an der Bereitstellung globaler öffentlicher Güter basiert. Einige Mitgliedstaaten haben begonnen, in diese Richtung zu denken, aber mit unterschiedlichem Tempo und unterschiedlichen Schwerpunkten. Die EU müsste mehr Führungsverantwortung übernehmen, aber es gibt keine gemeinsame Strategie, wie man den Herausforderungen für globale öffentliche Güter im europäischen Kontext begegnen könnte. Hierfür müssten Mitgliedstaaten Politik nicht nur auf nationaler Ebene abstimmen, sondern auch zwischen den verschiedenen Fachministerien. Viele von ihnen haben jedoch schon Agenden mit eindeutig nationalen Schwerpunkten formuliert.

Wie geht es weiter?
Die Agenda für den Wandel ist (noch) keine neue Strategie. Sie ist ein an den Europäischen Rat und das Parlament gerichteter Vorschlag der Kommission. In den kommenden sieben Monaten werden Mitgliedstaaten und Europäisches Parlament den Vorschlag diskutieren und entscheiden, ob sie ihm vor der Tagung des Europäischen Rates im Mai 2012 zustimmen. Diese Debatte könnte eine weitere Verwässerung der Agenda zur Folge haben. Die Kommission sollte jedoch vor denen, die Veränderungen ablehnen, nicht zurückweichen und versuchen, die Gelegenheit zu nutzen und die Entwicklungspolitik der Europäischen Union moderner zu gestalten.

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