Die aktuelle Kolumne
Die nächste Hungersnot kommt bestimmt
Ifejika Speranza, ChinweDie aktuelle Kolumne (2011)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 10.10.2011)
Bonn, 10.10.2011. An jedem 16. Oktober eines Jahres erinnert uns der Welternährungstag daran, dass Nahrung „eine Voraussetzung für das Leben und Wohlbefinden des Menschen bildet und zu seinen elementaren Bedürfnissen gehört“ (UN-Resolution 35/70 vom 5. Dezember 1980). Dennoch leiden überall auf der Welt, vor allem in Afrika, Menschen Hunger. 21 der 29 Länder, die im März 2011 Nahrungsmittelhilfe benötigten, lagen in Afrika.Im Oktober 2010 zählte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) 925 Millionen unterernährte Menschen – rund 14 Prozent der Weltbevölkerung. Von der aktuellen Nahrungsmittelkrise (<link record:tx_ttnews:tt_news:4512 internal-link>siehe „Die aktuelle Kolumne“ vom 22. August 2011) abgesehen, zählt Ostafrika nach den Hungersnöten in den Jahren 1984/85, 1991/92 und 1999/2000 auch weiterhin zu den Regionen mit der weltweit unsichersten Ernährungslage.
Wir müssen uns die unbequemen Fragen stellen, warum der Hunger in diesen Gebieten anhält, wer betroffen ist und warum?
Die betroffenen Gebiete in Ostafrika sind in fast jeder Hinsicht randständig. Kennzeichnend für diese ariden und semi-ariden Landstriche ist eine geringe landwirtschaftliche Produktion als Folge schwacher und unregelmäßiger Niederschläge. Geographisch betrachtet liegen sie größtenteils fern der wirtschaftlichen und politischen Machtzentren und sind deshalb nur schwer zu kontrollieren und zentral zu lenken. Die geographische Grenzlage wird zudem durch einen Entwicklungsrückstand gegenüber anderen Gebieten verstärkt. So verzeichnet die Nordostprovinz Kenias, eine chronisch ernährungsunsichere Region, den niedrigsten Grad an menschlicher Entwicklung des Landes, mit höchsten Armutsraten, Gender-Disparitäten und Analphabetentum und einen begrenzten Zugang zu Bildung, Wasser und Gesundheitseinrichtungen sowie zu Elektrizität und asphaltiertem Straßennetz.
In Kenia wurden bereits einige Maßnahmen zur Verbesserung der Situation ergriffen. Eine neue Verfassung wurde verabschiedet. Vorher lancierte die Regierung eine kostenlose staatliche Grundschulausbildung, verbesserte die Dienstleistungen für Viehbestände, und gründete im Jahr 2008 ein Ministerium, das die Entwicklung Nordkenias und anderer arider Gebiete vorantreiben soll. Ein weiteres Beispiel ist Äthiopiens 2006 gestartetes Programm zur Förderung der sozialen Sicherheit, der nachhaltigen Entwicklung und der Armutsbekämpfung. Allerdings ist es noch zu früh, um Schlussfolgerungen zu ziehen. Jahrzehnte der Marginalisierung und Vernachlässigung zu korrigieren braucht seine Zeit.
Schuld ist immer die Dürre
Aufgrund der erwähnten Grenzlage und der generellen Vernachlässigung ist Dürre oft gleichbedeutend mit Nahrungsmittelkrise. Klimabedingt sind Dürren in dieser Region jedoch normal – ein häufiges Phänomen, mit dem immer gerechnet werden muss. Hinzu kommt, dass der Klimawandel Häufigkeit, Schwere und Ausmaß von Dürren aller Voraussicht nach steigern wird. Obwohl dies bekannt ist und es funktionierende Frühwarnsysteme gibt, sind Regierungen entweder unvorbereitet oder unfähig, angemessen zu reagieren. Die anhaltende dürrebedingte Hungersnot in Ostafrika ist ein Beispiel hierfür: die betroffenen Regierung wurden frühzeitig vor der drohenden Krise gewarnt. Trotzdem trafen sie nur unzureichende und unwirksame Vorbereitungen (<link https: www.die-gdi.de cms-homepage openwebcms3.nsf>siehe „Die aktuelle Kolumne“ vom 22. August 2011). Welchen Wert haben Frühwarnsysteme, wenn diejenigen, die reagieren sollten, nichts oder zu wenig tun? Wie weit und wie lange noch soll die Schuld für anhaltende Ernährungsunsicherheit angesichts solcher Untätigkeit den Dürren in die Schuhe geschoben werden? (<link record:tx_ttnews:tt_news:4512 internal-link>Siehe „Die aktuelle Kolumne“ vom 25. Juli 2011).
Die zu Verfügung stehenden Finanzmittel und personellen Ressourcen reichen nicht aus, und schlechte Regierungsführung gefährdet erfolgversprechende Maßnahmen zusätzlich. Wahrscheinlich wird die Weltbank Gelder für ein wichtiges Projekt zur Dürrerisikosteuerung und Ernährungssicherung, das seit 1996 im Norden Kenias umgesetzt wird, einfrieren. Grund dafür sind massive Korruption und betrügerische Geschäfte in ca. 29 Prozent der derzeit geprüften Fälle, was einem Volumen von Ksh 362 Millionen (ca. 2,6 Millionen Euro) entspricht. Korruption behindert Entwicklungsmaßnahmen und sät Misstrauen unter den Beteiligten, den Gebern ebenso wie den ehrlichen Regierungsbeamten, besonders dort, wo es keine Strafverfolgung gibt.
Steigende Haushaltszuweisungen können nicht verbraucht werden
Ein aktueller Versuch, Investitionen zu erhöhen, wird durch begrenzte Absorptionsfähigkeit behindert. So stellt die kenianische Regierung eine Erhöhung der Haushaltsmittel von noch nicht einmal 10 Prozent für den Sektor Landwirtschaft bereit. Doch allzu oft bleiben Gelder ungenutzt, weil es zu Verzögerungen und Engpässen bei der Auszahlung kommt und die Absorptionsfähigkeit begrenzt ist. Dann müssen die bereitgestellten Gelder am Ende des Jahres wieder rücküberwiesen werden, obwohl die Probleme, die sie lösen sollten, weiter bestehen. Solche Engpässe müssen vom Finanz- und Planungsministerium dringend beseitigt werden.
Das Motto des Welternährungstags 2011 lautet „Nahrungsmittelpreise – aus der Krise in die Stabilität“. Doch Nahrungsmittel auf Dauer verfügbar und zugänglich zu machen bleibt eine Herausforderung, die nur mit gezielten Entwicklungsmaßnahmen zu bewältigen ist. Schon heute geben arme Menschen einen Großteil ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Der weltweite Anstieg der Lebensmittelpreise beschränkt ihren Zugang zu Nahrung zusätzlich und hat bereits zu Ausschreitungen in Madagaskar, Senegal und Simbabwe geführt. Die Preise für Lebensmittel in der Region bleiben generell auf hohem Niveau und werden womöglich weiter steigen, wenn die Nahrung produzierenden Gebiete keine ausreichenden Niederschläge erhalten.
Wie geht es weiter?
Die anhaltende Ernährungsunsicherheit resultiert aus einer Kombination verschiedener Faktoren. Ihnen ist nur auf integrative Weise und mit massiver finanzieller Unterstützung zu begegnen. Die Impulse der Regierungen Kenias und Äthiopiens müssen gestärkt und die durch schlechte Regierungsführung verursachten Probleme gelöst werden. Finanzhilfen müssen aufgestockt und in die benachteiligten Gebiete umdirigiert werden. Eine Abkürzung gibt es nicht. Ernährungssicherheit lässt sich nur schaffen, wenn Nahrungsmittel durch eigenen Anbau verfügbar oder mit Märkten und Einkommen erreichbar gemacht werden. Daher findet Entwicklung nur auf einer Basis statt, auf der sich die Widerstandskraft betroffener Bevölkerungsgruppen stärken lässt, zum Beispiel durch Stärkung der Leistungsfähigkeit von Menschen (Capacity Building), durch Infrastruktur und durch soziale Dienste. Entwicklung ist unmöglich in einem Umfeld, in dem finanzielle und personelle Leistungsfähigkeit nicht ausreichen und Korruption, selbst unter derart limitierenden Bedingungen, blüht. Demzufolge sollten Regierungen nach wirksameren Wegen suchen, Korruption einzudämmen. Zählen sollten nicht allein regionale Leistungsfähigkeit und gute wirtschaftspolitische Steuerung, sondern auch eine gerechte und inklusive Entwicklung, die menschliche Fähigkeiten fördert.
Und last but not least brauchen lokale „Friedensinseln“ jede Unterstützung, die sie bekommen können, denn solange die jetzigen Konflikte in Ostafrika weiterschwelen, wird die Zivilgesellschaft unter chronischer Ernährungsunsicherheit leiden. Der Erfolg früherer Maßnahmen hat bestenfalls gereicht, Menschen mehr schlecht als recht am Leben zu halten. Aber er hat sie nicht befähigt, nennenswerte Schritte hin zu wirtschaftlichem oder menschlichem Capacity Development zu machen. Es ist höchste Zeit, dass Interventionen in Afrika über lebenserhaltende Maßnahmen hinausgehen und beginnen, Entwicklungsprozesse anzustoßen. Wenn sich nichts ändert, kommt die nächste Hungersnot bestimmt.