Die aktuelle Kolumne
Die griechische Krise ist eine Governance-Krise
Faust, Jörg / Ulrich VolzDie aktuelle Kolumne (2012)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 06.02.2012)
Bonn, 06.02.2012. Während ein Schuldenschnitt – oder aber eine Staatspleite Griechenlands – immer näher rückt, werden die Forderungen nach einem Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone immer lauter. Zugegeben, ein Verlassen der Eurozone und die anschließende Abwertung einer neuen griechischen Drachme würde Griechenland zumindest kurzfristig helfen, seine Wettbewerbsfähigkeit wieder zu erlangen, die es in der letzten Dekade innerhalb der Währungsunion verloren hat. Aber ein Ausstieg aus der Währungsunion würde keines der drei grundlegenden Probleme der griechischen Wirtschaft lösen: das völlig dysfunktionale Steuersystem, der übergroße, intransparente und ineffiziente öffentliche Sektor sowie die endemische Korruption. Keines dieser Probleme hat etwas mit Griechenlands Mitgliedschaft in der Europäischen Währungsunion zu tun. Ein Austritt aus der Eurozone würde die griechische Tragödie daher auch nicht beenden. Im besten Fall würde ein Austritt der griechischen Wirtschaft eine vorübergehende Atempause verschaffen, aber auch das ist angesichts der zu erwartenden katastrophalen Wirkungen eines Euro-Austritts auf den Finanzsektor fraglich.
Griechenlands wirtschaftliche Misere muss im Kontext der grundlegenden Governance-Probleme des Landes gesehen werden. Durch den Eintritt in die europäische Währungsunion im Januar 2001 erlangte Griechenland die Glaubwürdigkeit, die seine schwachen Institutionen bis dato nicht hatten. Die Mitgliedschaft im exklusiven Euro-Club wurde als ein Zeichen der Glaubwürdigkeit wahrgenommen und gab Griechenland günstigen Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten und die Chance, riesige Mengen von Schulden aufzutürmen. Leider hat die politische und wirtschaftliche Elite Griechenlands das in sie gesetzte Vertrauen nicht erfüllt. Ein Blick auf den Governance-Indikator für Korruption der Weltbank zeigt, dass Griechenland bereits Jahre vor der Krise auf einer Stufe mit Ländern wie Kuba, Malaysia, Namibia, Jordanien und Italien (!) stand. Bei Transparency International rangiert Griechenland auf einer ähnlichen Position. Ausführliche Länderberichte von Transparency International und anderen Nichtregierungsorganisationen listen zahlreiche Fälle von Korruption, Klientelismus und politischer Vetternwirtschaft auf. Der Weltbank-Governance-Indikator für Korruption hat sich zudem seit dem Euro-Beitritt Griechenlands stetig verschlechtert.
Sicherlich finden sich Probleme von Korruption, politischer Intransparenz und mangelnder Rechenschaftspflicht überall auf der Welt. Aber es gibt große Unterschiede zwischen den Ländern, selbst innerhalb der OECD. Und diese Unterschiede haben starke Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes. Wie Mancur Olson, einer der Pioniere der politischen Ökonomie vor mehr als einem Jahrzehnt aufgezeigt hat, haben Korruption und mangelnde Rechtssicherheit einen starken negativen Einfluss auf die Totale Faktorproduktivität einer Volkswirtschaft – einem Standardmaß für die langfristige technologische Dynamik und Wettbewerbsfähigkeit einer Ökonomie. Um seine wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und die Grundlage für nachhaltiges Wachstum zu legen, muss Griechenland daher dringend sein Governance-Problem angehen. Sonst werden alle Versuche einer Haushaltskonsolidierung vergeblich sein. Ein europäischer Sparkommissar dürfte da herzlich wenig bewirken und zudem noch anti-europäische (oder anti-deutsche) Ressentiments schüren. Auch der letzte Woche von den EU-Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfeltreffen in Brüssel beschlossene Pakt für Haushaltsdisziplin wird wenig ändern. Griechenland braucht Reformen für gute Regierungsführung und nicht nur Austeritätspolitik.
Die Diskussion darüber, wie tief fiskalische Kürzungen ausfallen können, ohne die sowieso geringen Hoffnungen auf eine wirtschaftliche Erholung Griechenlands komplett abzuwürgen, ignoriert zumeist die der Misere zugrunde liegende Governance-Problematik. Was zählt, ist nicht nur die Höhe der Staatsausgaben, sondern wofür sie verwandt werden. Einschnitte bei Staatsausgaben, die ein korruptes System am Leben erhalten, werden zweifelsohne der Entwicklung des Landes nicht schaden. Auch Kürzungen im überdimensionierten Militärhaushalt Griechenlands würden wohl eher ausländische Rüstungskonzerne treffen als die heimische Wirtschaft. Im Unterschied dazu dürften weitere Einschnitte bei Sozialausgaben, die die Kaufkraft von Menschen, die ohnehin schon durch Arbeitslosigkeit unter dem wirtschaftlichen Niedergang leiden, schmälern, wenig zur Sanierung der Staatsausgaben beitragen. Dafür aber werden sie den kurzfristigen Abwärtstrend der griechischen Wirtschaft weiter verstärken und zudem die politische Akzeptanz von Strukturreformen in der Bevölkerung schmälern. Um die Qualität der Staatsausgaben nachhaltig zu verbessern, braucht es eine transparente und rechenschaftspflichtige Verwaltung der öffentlichen Finanzen. Die Bemühungen um eine Haushaltskonsolidierung werden nicht nachhaltig sein, wenn Fragen der Transparenz, Effizienz und Verantwortlichkeit des Staatsapparates nicht angesprochen werden.
Die Europäische Kommission, der Internationale Währungsfonds und Länder, die bereit sind zu helfen, sollten ihre Hilfen an Griechenland noch viel stärker als bisher an eine Verbesserung der Arbeit der öffentlichen Verwaltung knüpfen. Dabei kann auf die Erfahrungen der Entwicklungszusammenarbeit zurückgegriffen werden, bei der seit einigen Jahren relativ erfolgreich mit der sogenannten Budgethilfe gearbeitet wird. Bei der Budgethilfe geht die finanzielle Unterstützung einher mit einem besonderen Fokus auf die Verwaltung der öffentlichen Finanzen. Die finanzielle Unterstützung ist an eine Verbesserung der steuerlichen Transparenz sowie eine Stärkung der unabhängigen Aufsichtsorgane wie etwa einem Rechnungshof gekoppelt. Darüber hinaus wird vom Empfängerland erwartet, dass die Kontrollfunktion des Parlaments und der Zivilgesellschaft gestärkt werden, um die Rechenschaftspflicht der Exekutive zu verbessern. Diese Bedingungen, die an die finanzielle Unterstützung geknüpft werden, zielen nicht nur darauf ab, die finanziellen Risiken der Geber zu reduzieren, sondern insbesondere darauf, die Entwicklung einer funktionalen und effizienten öffentlichen Verwaltung zu unterstützen.
Natürlich werden solche Reformen nur erfolgreich sein, wenn sie auch von der griechischen Gesellschaft getragen werden. Dazu muss auch eine Wachstumsperspektive geschaffen werden. Gerade Deutschland sollte sich hierbei an die Wirtschaftshilfen erinnern, die es nach dem zweiten Weltkrieg von den USA erfahren hat, und sich bei den europäischen Partnern für ein langfristiges Investitionsprogramm für Griechenland einsetzen. Neben Förderungen durch die EU-Strukturfonds könnten die Europäische Investitionsbank, die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und auch die Weltbank nachhaltige Investitionen in Griechenland finanzieren.
Um die griechische Wirtschaft und Griechenlands öffentliche Finanzen auf eine solide Basis zu stellen, muss das Land seine Governance-Herausforderungen angehen. Dies ist wahrscheinlich einfacher innerhalb der Eurozone zu bewältigen als nach einem Austritt, wenn die Politik auf die grundlegenden Probleme des Landes mit wiederholten Abwertungen immer wieder kurzfristige aber letztlich nicht nachhaltige Antworten geben kann. Diejenigen, die Griechenland auf diesem langen und steinigen Weg unterstützen wollen, sollten deutlich machen, dass sie nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Veränderungen erwarten. Diese sind für die Eurozone genauso wichtig wie für Griechenland, da das schwächste Glied im System die Glaubwürdigkeit und somit die Stabilität der gesamten Währungsunion untergräbt.