Die aktuelle Kolumne
Die ungerechte Architektur in der Forschungskooperation
Die Entwicklungsforschung muss die Arbeitsbedingungen für lokale Partner verbessern
Chakraborty, Ananya / Lennart KaplanDie aktuelle Kolumne (2020)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 06.05.2020
Mit Nachdruck wird nach politischen Lösungen für die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung im globalen Süden gesucht. Ironischerweise bauen die damit verbundenen Forschungsprojekte häufig auf existierenden Machtgefällen auf, die unsichere Arbeitsbedingungen begünstigen können und somit selbst gegen das Ziel „menschenwürdige Arbeit“ (SDG 8) verstoßen.
Die globale Architektur von Entwicklungsforschungsprojekten bewegt sich häufig auf drei Ebenen: Forscher im globalen Norden, Eliten im globalen Süden und lokale Wissenschaftler. Forschungsinstitute aus dem globalen Norden stellen dabei häufig die Mittel bereit und arbeiten mit den lokalen Eliten aus dem globalen Süden zusammen. Diese wiederum beauftragen lokales Personal mit der Durchführung der eigentlichen Datenerhebung oder Forschungsarbeit. Zwischen den drei Ebenen wird ein erhebliches Machtgefälle deutlich, wenn man den Beitrag zum Forschungsdesign einerseits und die aktive Beteiligung an der Feldforschung andererseits betrachtet. Statt sich auf das Wissen und die Erfahrungen der lokalen Wissenschaftler*innen zu stützen, werden diese häufig in die Rolle von Forschungsassistent*innen gedrängt und bei den endgültigen Forschungsergebnissen kaum gewürdigt. Da die Mitglieder der oberen zwei Forschungsebenen im Feld häufig nicht physisch zugegen sind, besteht die Gefahr, dass ihre Studiendesigns lokale Realitäten nur unzureichend berücksichtigen. Daraus resultiert, dass die entwicklungsorientierte Forschung zu unangemessenen Arbeitsbedingungen der lokalen Forschungsteams beiträgt und so die Grundsätze von SDG 8 untergräbt.
Menschenwürdige Arbeit und ihre Auswirkungen auf das Wohlergehen des Forschungsteams
Menschenwürdige Arbeit impliziert, dass am Arbeitsplatz Freiheit, Gleichheit, Sicherheit und Menschenwürde gefördert, geschützt und menschenwürdige und produktive Arbeitsbedingungen geboten werden. In der Realität sind die Arbeitsbedingungen des Forschungspersonals im globalen Süden davon häufig weit entfernt. Da die Entwicklungsforschung zunehmend aus dem Entwicklungshilfehaushalt finanziert wird, wächst der Druck auf die Forschung, möglichst schnell Ergebnisse zu liefern. Doch die engen Zeitpläne entsprechen manchmal nicht der lokalen Wirklichkeit. Um Termine einzuhalten, wird also nicht selten weit über die vertraglich vereinbarte Wochenarbeitszeit hinaus gearbeitet. Lange Arbeitstage bergen jedoch ein erhöhtes Risiko, vor allem wenn Befragungen in prekären Wohngebieten durchgeführt und teure Geräte zur Datensammlung mitgeführt werden.
Um knappen Budgets und der Kurzfristigkeit vieler Projekte Rechnung zu tragen, werden lokale Interviewer und Dolmetscher häufig nur befristet und ohne Sozialversicherung beschäftigt. Dies ist besonders in der aktuellen COVID-19-Situation problematisch. Forschungsmitarbeiter*innen müssen sich gewissermaßen zwischen mehreren Monaten Arbeitslosigkeit wegen verzögerter oder ganz abgesagter Feldforschung und Datenerhebungsaufträgen mit erhöhtem Risiko entscheiden. Auch in formellen Anstellungsverhältnissen reicht das Gehalt der lokalen Kräfte häufig gerade aus, um die Kosten der Grundversorgung zu decken. Durch die Komplexität des Forschungskontextes vor Ort kommt es jedoch häufig zu unvorhergesehenen Problemen, beispielsweise wenn schlechte Straßen längere Reisezeiten verursachen. Noch schlimmer ist, dass unsichere Transportmittel und Infektionsgefahren die Belastung für das lokale Forschungspersonal erhöhen.
Bei Untersuchungen zu sensiblen Themen wie rassistisch motivierter oder geschlechterbasierter Gewalt bringt unzureichende Vorbereitung das lokale Forschungspersonal in erhebliche Gefahr. So ist zum Beispiel das Risiko geschlechterbasierter Gewalt für weibliche Forscherinnen aufgrund der patriarchalen Strukturen in manchen Ländern größer. Trotz solcher Gefahren sind Kurzzeiteinsätze für lokale Forschungsmitarbeitende attraktiv, weil daraus neue Kontakte entstehen können, man etwas lernen kann, und nicht zuletzt, weil es nur begrenzt Alternativen gibt.
Wir können das besser
Die Entwicklungsforschung selbst verstärkt die unangemessenen Arbeitsbedingungen, die das Wohlergehen der lokalen Forscherinnen und Forscher beeinträchtigen. Aufgrund der bestehenden hierarchischen Struktur müssen die beiden oberen Ebenen die Verantwortung dafür übernehmen, dass die Arbeitsbedingungen verbessert und der wertvolle Beitrag der lokalen Forschenden angemessen honoriert wird. Im Hinblick auf die Strukturierung von Forschungsprozessen besteht also mittelfristig ein Bedarf an einem Paradigmenwechsel. Die Finanzierungsträger und die Forschungspolitik müssen mehr Unterstützung für die Überwindung dieser tief verankerten Hierarchien bereitstellen. Hierunter fällt, einen weiteren beiderseitigen Kapazitätsaustausch und die Leitung von Forschungsvorhaben durch Wissenschaftler*innen aus dem globalen Süden zu einer Priorität zu machen. Darüber hinaus sollten bei Forschungsanträgen strengere Kriterien für die Arbeitsbedingungen gelten. Auf diese Weise könnten menschenwürdige Arbeitsbedingungen im Sinne von SDG 8 für alle gewährleistet werden. Andernfalls läuft die Entwicklungsforschung Gefahr, ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Ananya Chakraborty ist Postdoktorandin und forscht zu den Themen SDGs, Migration und Geschlechtergleichheit am Tata Institute of Social Sciences. Im Jahr 2019 war sie Teilnehmerin der Managing Global Governance Akademie des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE).
Lennart Kaplan ist Assoziierter Wissenschaftler am DIE. Gemeinsam mit Jana Kuhnt (DIE) und Janina Steinert (TUM München) arbeitet er an einem Projekt zur Ethik in der Entwicklungsforschung, das die ethischen Herausforderungen untersucht, mit denen sich lokale und internationale Forschungsmitarbeiter bei der Durchführung von Untersuchungen im Zielland konfrontiert sehen.