Die aktuelle Kolumne

Wie können wir die Ozeane retten?

Die Bedeutung der transdisziplinären und kollaborativen Meeresforschung

Wehrmann, Dorothea / Jacqueline Götze / Michał Łuszczuk / Katarzyna Radzik-Maruszak / Arne Riedel
Die aktuelle Kolumne (2021)

German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 17.06.2021

Das Thema des Welttags der Ozeane hebt die Bedeutung hervor, die den Meeren für das Leben auf der Erde zukommt. Die Versauerung der Ozeane und das Schmelzen des Meereises zeigen deutlich, welche Auswirkungen die tiefgreifenden anthropogenen Veränderungen auf die empfindlichsten Ökosysteme haben. Dass diese für die Weltbevölkerung unentbehrlich sind, wird allerdings kaum bedacht. Der Ruf nach dem Handeln einzelner Personen bleibt oft unbeantwortet. Staatliche Regelungen wie das Verbot von Einweg-Plastik stellen nur winzige Schritte auf dem Weg zu einer Abkehr vom ressourcenintensiven Paradigma dar. Während das Ziel des Welttags der Ozeane ein nachhaltigerer Umgang mit den Weltmeeren ist, sollen die damit verbundenen Kampagnen „die Weltbevölkerung mobilisieren und einen“. Um dies zu erreichen, muss die Wissenschaft, auf deren Erkenntnissen politische Maßnahmen im Idealfall aufbauen, die Kausalitäten und Verantwortlichkeiten klarer formulieren, damit sich Regierungen nicht ihren Pflichten entziehen können. Die Veränderung der Meeresökosysteme nehmen nicht alle Menschen in gleichem Maße wahr. Oft bleiben die Folgen bei großen Entfernungen eher abstrakt. Daher müssen Forschende ihre Erkenntnisse so darlegen, dass ihre Relevanz für alle greifbarer wird.

Warum sollte sich eine Person in Deutschland sorgen, weil an der Küste des Arktischen Ozeans Häuser ins Meer gespült werden? Die einfache Antwort: Weil Küstenerosion ein globales Phänomen ist, das alle betrifft. In der Arktis ist sie bereits sichtbarer, weil sich ihr Klima mindestens doppelt so schnell erwärmt wie in anderen Regionen. Das bahnbrechende Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat Deutschlands Emissionsminderungspflicht erneut bestätigt und machte die Berücksichtigung kommender Generationen zu einer rechtlichen Verpflichtung. Um zu verstehen, wie sich die Küstenerosion derzeit auf die Lebensgrundlagen betroffener Gemeinschaften und darüber hinaus auswirkt, muss sie als ein systemisches Problem erkannt werden. In der Vergangenheit wurde die Forschung zu arktischer Küstenerosion vom Silodenken dominiert. Noch immer beschränkt sich der Großteil der Ozean-Forschung auf den Bereich der Naturwissenschaften sowie auf vergleichsweise eng gefasste Perspektiven. Zwar werden mit Blick auf nachhaltige Entwicklung zunehmend sozialwissenschaftliche Studien durchgeführt. Doch forschen viele dabei häufig aus der Ferne zu diesen Regionen, ihren Ökosystemen und Menschen. Stattdessen sollte transdisziplinäre Forschung mit den Menschen an der Küste, insbesondere indigenen und lokalen Gemeinschaften, betrieben werden. Nur so lassen sich umfassende Erkenntnisse gewinnen und Möglichkeiten für gemeinsames Handeln identifizieren.

Die UN-Dekade der Ozeanforschung sollte dazu genutzt werden, transdisziplinäre Forschung anzustoßen, lokales Wissen einzubeziehen und Wissensaustausch zu fördern. Die Umsetzung von Forschungsvorhaben ist jedoch von Kapazitäten abhängig, die oft durch globale Wissenshierarchien und Machtverhältnisse strukturiert sind. Netzwerke von Forschungseinrichtungen wie die University of the Arctic und Stipendienprogramme für Nachwuchsforschende tragen zur Produktion, zum Austausch und zur Bündelung von Wissen und damit auch zum Kapazitätsaufbau bei. Wissensnetzwerke, die Menschen in, an und jenseits von Küstengemeinschaften zusammenbringen, sollten auch durch rechtliche Rahmenbedingungen unterstützt werden. Ein Beispiel dafür ist das Abkommen über die verstärkte, internationale Kooperation in der Arktisforschung, das den Zugang zu Daten, Orten und Informationen sowie die gemeinsame Nutzung von Infrastruktur regelt. Wie im 2020 State of Arctic Science Report des International Arctic Science Committee hervorgehoben, erfordert die Umsetzung des Abkommens jedoch mehr finanzielle und personelle Mittel. Außerdem sollten die Projektlaufzeiten verlängert werden, da transdisziplinäre Forschung „mehr Zeit braucht als disziplinäre Standardprojekte“.

Wie in der Weltozeanwoche 2020 gefordert, sollten wir alle „die Ärmel für die Umwelt hochkrempeln“. Statt einzeln zu forschen, sollten sich Forschende zusammenschließen. Jüngste Fortschritte in der Kommunikationstechnologie ermöglichen zwar mehr Inklusion. Allerdings wird eine steigende Anzahl von Online-Veranstaltungen allein unsere Ozeane nicht retten. Informationen müssen nicht nur geteilt, sondern auch gemeinschaftlich zusammengestellt, analysiert und ausgewertet werden. Dies erfordert Zeit und Ressourcen. Strukturen, die den Austausch verschiedener Ansichten fördern und kollaboratives Wissen unterstützen, können entscheidend zum besseren Verständnis der komplexen Auswirkungen der sich verändernden Ozeane beitragen. In der Praxis bedeutet dies: mehr transdisziplinäre Forschung, idealerweise auf Grundlage verbindlicher globaler Governance-Mechanismen für Forschungskooperation, und mehr Investitionen in transdisziplinäre Bildung auf allen Ebenen.


Dieser Text ist Teil einer Sonderreihe der Aktuellen Kolumne zur UN-Dekade der Meeresforschung für nachhaltige Entwicklung. Weitere Texte finden Sie hier.


Dieser Text entstand im Rahmen des Forschungsprojekts „Nachhaltige städtische Entwicklung in der Europäischen Arktis (SUDEA): Verbesserung von transnationaler Kooperation in abgeschiedenen Regionen“ (Projektnummer 426674468), das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem polnischen Wissenschaftszentrum (NCN) (UMO-Vereinbarung - 2018/31/G/HS5/02448) gefördert wird.


Michał Łuszczuk, PhD, ist assoziierter Professor im Fachbereich Soziale und Ökonomische Geographie am Institut für sozialökonomische Geographie und Raumplanung an der Maria-Curie-Skłodowska-Universität in Lublin, Polen. Er ist Ko-Leiter des SUDEA Projektes.

Katarzyna Radzik-Maruszak, PhD, ist assoziierte Professorin im Fachbereich Öffentliche Verwaltung an der Fakultät für Politikwissenschaft und Journalismus an der Maria-Curie-Skłodowska-Universität in Lublin, Polen. Sie ist Wissenschaftlerin im SUDEA Projekt.

Arne Riede, LLM, arbeitet als Senior Fellow für das Ecologic Institut und koordiniert das Ecologic Legal Team sowie die Arktis-Aktivitäten des Instituts. Er ist Rechtswissenschaftler im SUDEA Projekt.

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