Die aktuelle Kolumne
Dezentrale strategische Getreidereserven sind erforderlich zur Bekämpfung von Hungerkrisen
Ifejika Speranza, Chinwe / Susanne NeubertDie aktuelle Kolumne (2010)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 11.10.2010)
Bonn, 11.10.2010. So wie in Afrika traditionell Lebensmittelvorräte auf der Haushaltsebene angelegt werden, um über Notzeiten hinwegzuhelfen, sollten solche Vorräte auch auf Gemeinde-, Provinz- und nationaler Ebene angelegt werden, um knappe Zeiten besser zu überbrücken. Externe und interne Faktoren machen es zunehmend schwieriger, mögliche Lebensmittelengpässe im Vorfeld abzuschätzen. Strategische Getreidereserven sind daher entscheidend für die Vermeidung von Hungersnöten in Afrika, und sie verdienen viel mehr Aufmerksamkeit und politische Unterstützung, als ihnen bisher zuteil wurde.
Die Ursachen für Lebensmittelengpässe sind vielfältig
Der Welternährungstag am 16. Oktober 2010 erinnert zunächst an unser Versagen, Hungerkrisen zu reduzieren. Früher waren meist lokale Begebenheiten für Engpässe verantwortlich, heute werden globale und regionale Faktoren immer entscheidender. Viele afrikanische Länder sind schon in normalen Jahren abhängig von Lebensmittelimporten. So gaben Benin, Burundi, Äthiopien, Mosambik, Niger, Ruanda und Sudan zwischen 1998 und 2007 mehr als 10 % ihrer Exporteinnahmen für Lebensmittelimporte aus. In Burkina Faso waren es 20 % und in Guinea-Bissau sogar 40 %. Dadurch sind diese Länder in besonderem Maße Preisschwankungen ausgesetzt, wie sie u. a. während der Nahrungsmittelkrise von 2008 auftrat. So stehen heute Produktionsausfälle in Exportländern, z. B. bedingt durch die Dürre und die Großbrände in Russland in direktem Zusammenhang mit dem Anstieg des Brotpreises in Mosambik, welcher zudem durch einen gleichzeitigen Währungseinbruch im Importland verschärft wurde. Zur besseren Abpufferung dieser steigenden Risiken bedarf es verschiedener Maßnahmen. Zweifellos müssen afrikanische Länder ihre landwirtschaftliche Produktivität erhöhen, ein weiteres wichtiges Mittel gegen Lebensmittelknappheit ist außerdem die Anlage strategischer Getreidevorräte.
Warum sind strategische Getreidereserven so wichtig?
Die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (Food and Agriculture Organization - FAO) erkennt strategische Getreidereserven als eine der zentralen Maßnahmen gegen Nahrungsengpässe an. Andererseits werden Getreidereserven aber auch zur Stabilisierung des Getreidepreises oder als Getreidedarlehen an Organisationen und Länder verwendet. Solche Reserven können aus physischem Getreide oder in finanzieller Form bestehen. Die physischen Vorräte sind dafür bestimmt, nationale Lebensmittelengpässe zu überbrücken, während die finanziellen Reserven im Bedarfsfall zum Einkauf einer bestimmten Menge von Nahrungsmitteln bereitgestellt werden sollen. Die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten setzt allerdings genügend große Fremdwährungsreserven voraus, und es müssen die benötigten Nahrungsmittel zu diesem Zeitpunkt auf dem Weltmarkt erhältlich sein. Ein allfälliger Kredit muss gewährt werden und die bestellten Nahrungsmittel müssen rechtzeitig eintreffen.
Obwohl die Anlage von Getreidevorräten hoch plausibel erscheint, sind sie wegen ihrer politischen Tragweite äußerst umstritten. Erstens ist hiermit keinesfalls ein schnelles und angemessenes Reagieren im Krisenfall gewährleistet und zweitens verzerren sie unter Umständen die Marktpreise. Trotzdem nutzen etliche afrikanische Länder Getreidevorräte als Puffer bei Versorgungsengpässen. Dieser Praxis wird jedoch seitens der Geber nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt, d. h. Unterstützung wird kaum gewährt. Dies spiegelt die kontroverse Debatte auf der Ebene internationaler Entwicklungspolitik einerseits und der nationalen Politik andererseits über solche Getreidereserven wider. Immerhin hat das UN-Welternährungsprogramm begonnen, die Errichtung von regionalen Nahrungsmitteldepots zu prüfen, um im Fall einer Krise schneller reagieren zu können.
Gutes politisches Werkzeug, schlechtes Ergebnis
Schlechte Staatsführung, Misswirtschaft und Korruption haben manche Getreidevorräte schrumpfen lassen. Die Frage ist nun, ob ein an sich gutes Werkzeug wegen schlechter Handhabung zu verwerfen ist. Die Antwort lautet hier nein, denn es sollten besser Lösungen gesucht werden, wie das an sich gute Werkzeug wirksamer eingesetzt werden könnte. Kommerzielle Joint-Ventures zwischen Staat und Privatwirtschaft oder gar die Privatisierung der Getreidevorräte wären mögliche Optionen, wie sie z. B. in Sambia im Rahmen von Warehouse-Systemen diskutiert werden. Durch kontinuierliches Monitoring muss sichergestellt werden, dass die politischen Richtlinien befolgt werden. Das Management kann und sollte dabei dezentralisiert werden, so dass jedes lokale Verwaltungsgebiet über seine eigenen Reserven bestimmen kann, wohingegen auf nationaler Ebene die Gesamtkoordination erfolgen würde.
Argumente für dezentralisierte Getreidevorräte
Dezentralisierte, strategische Getreidereserven sichern die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln in kurzer Entfernung zu den Betroffenen. Die Menschen vor Ort sind besser informiert über die tatsächliche Entwicklung einer Notsituation. Dadurch verringert sich das Risiko einer überhöhten Abhängigkeit von nationalen Frühwarnsystemen. Dezentralisierung reduziert das Klumpenrisiko, welches Korruption, Misswirtschaft, Feuer, Diebstahl und Schädlingsbefall für einzelne, nationale Getreidereserven darstellen. In einem transparenten System besteht ein direkter Austausch zwischen Nutzern, die verantwortlich gemacht werden können, wenn Lebensmittelvorräte verschwinden, frühzeitig verkauft oder vereinbarte Abläufe nicht eingehalten werden. Somit wird es einfacher, die in wenigen Händen konzentrierte Macht zu kontrollieren und eine möglicherweise unredliche Verwaltung zu ahnden.
Die Einbeziehung der Medien in das Monitoring ist wünschenswert, da sie zu vermehrter Transparenz beitragen könnten. Die öffentliche Auflistung der gelagerten Getreidereserven kann außerdem ein effektives Anti-Korruptionsmittel darstellen. Dezentralisierte Reserven erlauben zudem die Einlagerung billigerer und lokal angemessener Nahrungsmittel. Die meisten Lieferungen von Nahrungsmittelhilfe sind an eine Spenderagenda „gebunden“. Allerdings tendieren gewisse Geberländer zur Vergabe von Hilfsgütern, wenn sie Nahrungsmittelüberschüsse produzieren und die globalen Getreidepreise niedrig sind. Eine Dezentralisierung kann diese Verbindung schwächen und afrikanischen Ländern mit Nahrungsmitteldefiziten erlauben, ihre Reserven nach eigenen Wünschen und Bedürfnissen zu erwerben. Nahrungsmittelhilfe wird dadurch von der Nachfrage bestimmt und nicht vom Angebot, und sie besitzt auf diese Weise die Möglichkeit, den politischen Missbrauch von Hilfsgütern zu reduzieren.
Mehr Unterstützung seitens der Entwicklungspolitik ist nötig
Die Dezentralisierung von Reserven lenkt die Aufmerksamkeit auf die Verarbeitung der Erntegüter, welche ein wichtiger Aspekt der Ernährungssicherheit ist. Auch Länder, die mit Produktionsdefiziten konfrontiert sind, haben zeitweise Überschüsse zu verzeichnen. Diese verrotten dann oft auf Grund mangelhafter Lagerstrukturen. Nicht selten produzieren Bauern Überschüsse, die sie dann zu untersetzten Preisen veräußern müssen, weil sie Bargeld benötigen. Solche Vorräte, integriert in ein an klimatische Bedingungen geknüpftes Ernteversicherungssystem und aufbewahrt in kommunalen Getreidespeichern, können einen wichtigen Beitrag zur künftigen Ernährungssicherheit leisten.
Gut verwaltet erhöhen Getreidevorräte den Spielraum der Regierungen und erhöhen deren Pufferkapazitäten im Kampf gegen Hungerkrisen. Auch wenn Skandale um verschwundene Getreidevorräte in Afrika die Gebernationen in ihren negativen Ansichten bestärken, dürfen diese entmutigenden Sachverhalte kein hinreichendes Argument sein, das Werkzeug „Notvorrat“ einfach zu ignorieren.
Good governance, d. h. gute Regierungsführung ist entscheidend. Und so wie schlechte Regierungsführung kontrolliert wird, muss auch das Handeln von ländlichen Eliten im Rahmen der dezentralisierten Reserve im Auge behalten werden. Entwicklungszusammenarbeit soll nationale Regierungen bei der Bekämpfung von Misswirtschaft unterstützen, sie soll dabei helfen die Errichtung dezentralisierter Nahrungsmittelreserven zu fördern und Maßnahmen einzuführen, die sicherstellen, dass die Lebensmittel auch tatsächlich zu den avisierten Zielgruppen gelangen.