Die aktuelle Kolumne
Ohne Netzwerke keine Partnerschaft!
Deutschland und die EU werben um aufstrebende Schwellenländer
Lynders, Eva / Wulf Reiners / Johanna VogelDie aktuelle Kolumne (2023)
Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 25.09.2023
Bonn, 25. September 2023. Globale Partnerschaften dürfen nicht nur einem engen Verständnis von Eigeninteresse dienen. Für eine faire und funktionale Ausgestaltung zum gegenseitigen Nutzen sind transnationale Wissensnetzwerke unverzichtbar.
Globale Herausforderungen verstärken das Interesse Deutschlands an neuen Formen der Zusammenarbeit mit aufstrebenden Schwellenländern, darunter Brasilien, China, Indien, Indonesien, Mexiko und Südafrika. Ausdruck der gesteigerten Aufmerksamkeit sind die rege Reiseaktivität von Bundeskanzler Olaf Scholz und zahlreicher Bundesminister*innen in diese Länder, das Wiederaufleben der Bemühungen um das EU-Mercosur Freihandelsabkommen, die Errichtung eines EU-Indien Handels- und Technologierats, sowie der während des G20-Gipfels angekündigte ambitionierte Transport- und Wirtschaftskorridor zwischen Indien, der EU und weiteren Partnerländern. Bei der Ausgestaltung der Beziehungen zu umfassenden Partnerschaften sollten transnationale Wissens- und Kooperationsnetzwerke eine wichtige Rolle spielen.
Das wachsende Interesse an der Kooperation mit dieser Ländergruppe steht im Einklang mit dem deutschen und europäischen Bestreben, durch Diversifizierung und „De-Risking“ regionale oder sektorale Abhängigkeiten zu verringern. Sie dient u.a. der Beendigung der energiepolitischen Abhängigkeit von Russland, einem erklärten Ziel der deutschen Nationalen Sicherheitsstrategie. Machtverschiebungen im internationalen System machen vielfältige, vertiefte Partnerschaften noch relevanter: China, „Partner, Wettbewerber und strategischer Rivale“ und die erweiterte BRICS-Gruppe versuchen, die „westliche Dominanz“ in der internationalen Ordnung zu ändern. Vier aufeinanderfolgende G20-Präsidentschaften aufstrebender Mächte setzen weitere Themen des „Globalen Südens“ auf die internationale Agenda.
Das Bestreben Deutschlands und der EU, die Kooperation mit dieser Ländergruppe nun umfassend zu vertiefen, kommt spät; ist aber der richtige Schritt – und sollte über Eigeninteressen hinausgehen. Die globalen Herausforderungen der Weltgemeinschaft erfordern tiefgreifende Transformationen, insbesondere innerhalb der Industriestaaten und der aufstrebenden Schwellenländer. Ohne Zusammenarbeit ist die Umsetzung globaler Abkommen, allen voran das Pariser Klimaabkommen und die Agenda 2030, nicht zu erreichen. Die Rahmenbedingungen für echte Partnerschaften sind schwierig: Nicht alle der genannten Schwellenländer teilen eine freiheitlich-demokratische Grundordnung und ihre Positionierungen zu grundlegenden Nachhaltigkeitsfragen sind uneinheitlich. Zugleich können die Industriestaaten keine gute Bilanz von eingelösten Versprechen und Kooperation auf Augenhöhe vorweisen.
Wenn es vor diesem Hintergrund darum geht, globale Transformationsprozesse – vom Klimaschutz bis zur Reform multilateraler Organisationen – fair und partnerschaftlich auszugestalten, können transnationale Wissens- und Kooperationsnetzwerke eine wichtige Rolle übernehmen. In ihren Austausch- und Kooperationsstrukturen können Individuen und Partnereinrichtungen gemeinsame Verständnisse von globalen Herausforderungen und Lösungsansätzen herstellen. Ihr Dialog kann nationale Perspektiven und Interessen einbeziehen und gleichzeitig zur gemeinschaftlichen Definition von Gemeinwohl beitragen. Unter schwierigen politischen Rahmenbedingungen sind vertrauensvolle, persönliche Kontakte oft die entscheidende Ebene, auf der partnerschaftliche Zusammenarbeit angebahnt und umgesetzt wird. Systemisch können Netzwerke gemeinsames Wissen zwischen Sektoren (wie Forschung und Politik, aber auch Zivilgesellschaft und Privatsektor) teilen und in nationale politische und gesellschaftliche Diskurse speisen.
Bei der Vertiefung der Partnerschaft kann auf entwickelte transnationale Strukturen wie das Managing Global Governance (MGG)-Netzwerk aufgebaut werden, wie zahlreiche Beispiele in seiner über fünfzehnjährigen Entwicklung zeigen: Netzwerkmitglieder übernehmen Schlüsselpositionen im Think Tank-Prozess der G20 (Think20) und im Austausch über freiwillige Nachhaltigkeitsstandards auf UN-Ebene. Sie bringen Agenda-2030-Fortbildung für den öffentlichen Dienst als Thema in den mexikanischen Senat und helfen als Reflektionsgruppe bei der Entwicklung des BMZ-Positionspapiers „Globale Partner“ Kooperationsansätze und Schlüsselterminologie für die strategische Zusammenarbeit zu schärfen. Die gemeinsame Entwicklung von Wissen und Transformationskompetenzen, Forschungskooperation und politische Dialogformate dienen dabei auch der Entwicklung einer dauerhaften Kooperationsinfrastruktur, in der Kommunikationskanäle aufrecht erhalten und erweitert werden, und in der sich Netzwerkmitglieder bei der Gestaltung von Veränderungsprozessen unterstützen können.
Es liegt im aufgeklärten Eigeninteresse Deutschlands und Europas, die Kooperation mit aufstrebenden Schwellenländern nicht nur im Sinne des „De-Risking“ zu vertiefen, sondern umfassende Partnerschaften für global gerechte Nachhaltigkeitstransformationen anzustreben. Bei ihrer Entwicklung sollten langfristig angelegte, gut gepflegte transnationale Wissens- und Kooperationsnetzwerke zentraler Baustein sein, um faire und funktionale Partnerschaften zu gestalten, in denen alle Akteur*innen ihrer Bedeutung und Verantwortung gerecht werden können.