Die aktuelle Kolumne

Vorausschauend denken, um vorausschauend zu handeln

Der VN-Zukunftsgipfel und das Vermächtnis Klaus Töpfers

Konukiewitz, Manfred / Steffen Bauer / Max-Otto Baumann
Die aktuelle Kolumne (2024)

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 16.09.2024

Bonn, 16. September 2024. Wenn am 22. und 23. September 2024 in New York der „Zukunftsgipfel“ der Vereinten Nationen (VN) zusammentritt, wird ausgerechnet Klaus Töpfer diesen nicht mehr erleben. Der langjährige Protagonist der Nachhaltigkeitspolitik, ehemalige Umweltminister und Chef des VN-Umweltprogramms ist am 8. Juni 2024 im Alter von 85 Jahren verstorben. Der Anspruch des Zukunftsgipfels, die Umsetzung der VN-Nachhaltigkeitsziele voranzutreiben und die VN programmatisch wie institutionell weiterzuentwickeln, entspricht Töpfers leidenschaftlichem Einsatz für einen „effektiven Multilateralismus“ zur Überwindung von Armut und Ungleichheit.

Als zeitweise Wegbegleiter von Klaus Töpfer – besonders im Falle von Manfred, der über Jahrzehnte mit ihm zusammenarbeitete – möchten wir vier Leitgedanken hervorheben, die wir als charakteristisch für sein Wirken sehen. Sie können Fingerzeige geben für die Aufgabenstellungen, die sich für die Weltgemeinschaft aus dem Zukunftsgipfel ergeben:

Erstens, weiter Denken: Klaus Töpfer war stets darauf bedacht, politisches Handeln von der Zukunft her zu denken, um heute Weichenstellungen vorzunehmen, bevor diese morgen ökonomisch wie politisch unverhältnismäßig teuer werden. Die konsequente Überzeugungsarbeit, mit welcher Töpfer in den 1980er Jahren als Umweltminister für die Kreislaufwirtschaft warb, ist dafür exemplarisch. Zunehmende globale Komplexität, die uns mit Kipppunkten jeder Art konfrontiert, macht einen solchen Ansatz im 21. Jahrhundert umso wichtiger. Der Zukunftsgipfel sollte als Auftakt genutzt werden, um eine derartige Herangehensweise auf internationaler Ebene zu befördern und in den VN zu institutionalisieren. 

Zweitens, größer Denken: An der aktuellen Entwicklungs- und Nachhaltigkeitspolitik störte Töpfer die Fixierung auf eher kleinteilige Projekte, auf „Geld ausgeben“ bzw. Hilfe empfangen. Oft verfehlt eine solche Politik, die sich aus administrativen Logiken und ideologischen Denkweisen speist, ihr eigentliches Ziel, nämlich grundlegende Strukturen zu verändern. Letztlich sind es Ideen, die Dinge an ihren Wurzeln in Bewegung bringen. Nachhaltige Entwicklung sollte in der Praxis stärker als intellektuelle und politische Herausforderung begriffen werden. Auf allen Ebenen – von der operativen Arbeit in den Ländern bis zu den intergouvernementalen Foren – sollten die VN der Ort sein, wo Diskurse und Analysen über Entwicklung und Nachhaltigkeit zusammenkommen. 

Drittens, gemeinsam Denken: Töpfer hat der „Konsultativen“ als vierter Dimension demokratischer Gewaltenteilung neben Exekutive, Legislative und Judikative große Bedeutung beigemessen. Als Elder Statesman hat er seinen integrativen Charakter in die Leitung entsprechender Formate auf nationaler und VN-Ebene eingebracht. Zwar ist in den VN die Beteiligung zivilgesellschaftlicher und weiterer nichtstaatlicher Akteure gut etabliert. Sie verharrt aber oft auf einer repräsentativ-symbolischen Ebene. Eine zukunftsfähige VN sollte dieses Potential stärker mobilisieren. Es könnte insbesondere die im „Pakt für zukünftige Generationen“ angestrebte Befähigung der VN zu vorausdenkendem Handeln stärken.

Viertens, problemlösungsorientiert Denken: Die drei vorherigen Punkte münden in einem problemlösungsorientierten Denkansatz, der für Töpfer charakteristisch war. Töpfer verstand es, gegebene Realitäten ebenso anzuerkennen, wie Veränderungen und daraus erwachsende Herausforderungen zu antizipieren und mutig einzubringen. Als langjähriger Politiker wusste Töpfer um die Bedeutung von Symbolik und die Schwierigkeiten politischen Handelns, sah aber in Ereignissen wie dem Zukunftsgipfel letztlich die Möglichkeit, Lösungen zu gestalten. Unter Bezugnahme auf Karl Popper betonte Töpfer dabei immer wieder die Notwendigkeit, den Falsifizierungsvorbehalt für Forschungsergebnisse auch auf die Politik anzuwenden. Demnach gehöre „Festigkeit“ zwar in den politischen Willen – etwa Armut und Ungleichheit zu überwinden – nicht aber in das politische Programm. Wenn wir infolge einer veränderten Faktenlage schlauer werden, sich die technischen Möglichkeiten weiterentwickeln, sich gesellschaftliche Konstellationen neu strukturieren, dann können politische Anpassungen geboten sein, um die übergeordneten Ziele zu erreichen.

Es liegt in der Verantwortung der Mitgliedsstaaten, den Zukunftsgipfel zu nutzen, um einer solchen Anpassungsfähigkeit den Weg zu bereiten. Ein „effektiver Multilateralismus“ ergibt sich weniger aus den einmaligen Beschlüssen des Gipfels und neuen Mandaten, als vielmehr aus der Fähigkeit, Probleme bewältigen zu können. Im derzeit besonders angespannten Nord-Süd-Verhältnis und angesichts manifester geopolitischer Verwerfungen mangelt es aktuell an zwischenstaatlichem Vertrauen. Interessen werden mehr gegeneinander als miteinander formuliert. Das Andenken an Töpfer kann uns eine Hilfe sein, etwas Abstand von den politischen Gegensätzen zu nehmen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Ganz im Sinne des „We the Peoples“, mit dem die Charta der VN beginnt.


Manfred Konukiewitz leitete bis zu seiner Pensionierung (2013) im BMZ die Unterabteilung für sektorale und globale Aufgaben; er war zudem Beauftragter des BMZ für Klimapolitik.

Steffen Bauer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am IDOS im Forschungsprogramm "Umwelt-Governance und Transformation zur Nachhaltigkeit" (derzeit beurlaubt). 

Max-Otto Baumann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am IDOS im Forschungsprogramm „Inter- und transnationale Kooperation“. 

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