Die aktuelle Kolumne
Das Weltwissen der Denkfabriken: letzte Bastion der alten Weltmacht USA
Messner, DirkDie aktuelle Kolumne (2011)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 14.03.2011)
Bonn, 14.03.2011. Anfang des Jahres erschien der international führende <link http: www.gotothinktank.com external-link-new-window external link in new>Global “Go-To Think Tanks“-Ranking für 2010, der von der University of Pennsylvania gemeinsam mit der Universität der Vereinten Nationen präsentiert wurde. Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) wird in diesem Report in der Rubrik der Denkfabriken, die sich mit globalen Entwicklungsfragen beschäftigen, auf Platz vier geführt, gleich hinter zwei international renommierten US-Instituten (der ehrwürdigen Brookings Institution und dem Center for Global Development) sowie dem britischen Overseas Development Institute. Auf diese Platzierung ist das DIE stolz, trotz des Wissens um die Unvollkommenheiten eines jeden Rankings. In anderen Rubriken landeten weitere deutsche Forschungs- und Beratungsinstitute auf vorderen Plätzen, etwa das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (Rubrik Umwelt), die Stiftung Wissenschaft und Politik (Sicherheitspolitik) und das Kieler Institut für Weltwirtschaft (Weltwirtschaft).
Dass deutsche Forschungs- und Beratungsinstitute als international einflussreich wahrgenommen werden, ist wichtig, denn Denkfabriken beeinflussen das Bild, das sich Politiker, Bürger und internationale Organisationen von der Welt machen. Sie beteiligen sich an der Diskussion, welche Probleme als dringlich gelten und in welche Richtung nach Lösungen gesucht werden sollte, zum Beispiel wenn es um den Klimawandel, die neue Rolle aufsteigender Mächte in der Welt, Lehren aus der internationalen Finanzkrise oder die derzeitigen Zusammenbrüche autoritärer Regime in Nordafrika geht. Länder, in denen keine einflussreichen Denkfabriken angesiedelt sind, werden im weltweiten Wettbewerb der Ideen um die zukünftige Gestaltung der Weltpolitik keine wirksame Rolle spielen können. Für die Exportökonomie Deutschland und für Europa, das beansprucht, die Globalisierung wirkungsvoll mitgestalten zu können, ist es zentral, über Wissensorganisationen zu verfügen, die weltweite Trends und Risiken analysieren sowie entsprechende Handlungsoptionen und Lösungsvorschläge erarbeiten. International ausgerichtete Forschungs- und Beratungsinstitute verfügen über weltweite Expertennetzwerke, tragen dazu bei, Akteure und ihre Interessen aus aller Welt besser zu verstehen und bauen so Brücken zwischen den Nationen, wenn es um die Bearbeitung globaler Wirtschafts-, Entwicklungs-, Umwelt- und Sicherheitsfragen geht.
Das Global“Go-To Think Tanks“-Ranking sagt einiges über die ungleiche Verteilung von „Weltwissen“ aus, das in den Denkfabriken produziert wird, und über unterschiedliche Traditionen der Beratung der Politik. In den angelsächsischen Ländern gibt es eine lange Geschichte von Forschungsinstituten, die sich zugleich in der Politikberatung engagieren. Wissenschaftler, die beide Bereiche beherrschen, genießen hohes Ansehen. In vielen europäischen Ländern (Deutschland inklusive) gelten Forschungsinstitute, die sich auch in die Politikberatung einmischen, oft noch immer als suspekt. Wer die reine Forschung verlässt und sein Wissen in die Gesellschaft trägt, wird zuweilen aus den Höhen der universitären Elfenbeintürme kritisch beobachtet.
Die weltweit größte Dichte an renommierten Denkfabriken findet man in der Massachusetts Avenue in Washington. Auf einer Meile reihen sich hier die US-Spitzeninstitute für Weltwirtschaft, internationale Politik und globale Entwicklung aneinander, die sich alle in dem globalen “Go-To Think Tanks“-Ranking wieder finden. Während die US-Wirtschaft in einer tiefen Krise steckt, die US-Regierung sich mit ihrer Rolle als größter Schuldner der Aufsteigerökonomie China abfinden muss und das US-Militär vor allem damit beschäftigt ist, zwei Kriege zu beenden, die es letztlich nicht gewinnen konnte, dominieren die amerikanischen Denkfabriken weiterhin die internationalen Debatten um die Zukunft von Weltpolitik und -wirtschaft. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass der in die Jahre gekommenen US-Weltmacht, die stets stolz auf ihre ökonomische und vor allem militärische Macht war, nun die uneingeschränkte Führerschaft nur noch im Bereich ihrer Denkfabriken bleibt. Die USA werden zu einer „soft power-Nation“. Das hatte sich Präsident Bush jun. ganz anders vorgestellt. Für Präsident Obama liegt hier eine Chance, die Rolle der USA als Weltmacht neu zu definieren.
Erstaunlich ist, dass der Global “Go-To Think Tanks“-Index noch stark die transatlantisch geprägte Weltordnung widerspiegelt, während in der realen Welt die aufsteigenden Mächte Asiens die Beobachter in Atem halten. Auffällig ist auch, dass Forschungs- und Beratungsinstitute aus Entwicklungsländern kaum in den Bestenlisten des Global “Go-To Think Tanks“-Rankings auftauchen. Unter den 10 einflussreichsten Denkfabriken zu globaler Entwicklung sind fünf US- und zwei britische Institute, das Entwicklungsforschungsinstitut der UN sowie neben dem Deutschen Institut für Entwicklungspolitik noch die Friedrich Ebert Stiftung, mit ihrem weltweiten Netz an Forschungspartnern. Unter den ersten 25 Entwicklungsforschungsinstituten befinden sich nur zwei Einrichtungen aus Entwicklungsländern (aus Brasilien und Bangladesch)!
In anderen Feldern internationaler Politik ist das Bild ähnlich. Von den zehn wichtigsten Umweltdenkfabriken sind sieben in den USA, zwei in Deutschland (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Ecologic Institute) und eines in Schweden angesiedelt. Ein Forschungsinstitut aus Kenia hat es immerhin unter die besten 25 Einrichtungen geschafft. Ähnlich im Bereich der Weltwirtschaftsinstitute: hier kommen sieben Denkfabriken aus den USA, eine aus Großbritannien, eine aus Deutschland (Kieler Institut für Weltwirtschaft) sowie eine aus Belgien. Unter die ersten 25 haben es immerhin das Institut für Weltwirtschaft und -politik (IWEP) der chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften (CASS) sowie der Rat für internationale Wirtschaftsbeziehungen aus New Delhi geschafft. In der Sicherheitspolitik dominieren unten den ersten zehn des Rankings sieben US- und zwei britische Institute; nur das Stockholmer Institut für Friedensforschung (SIPRI) taucht in der Spitzengruppe auf.
Vier Schlussfolgerungen lassen sich ziehen: Erstens werden US-Institute, trotz wirtschaftlicher und militärischer Krisen in den USA, zunächst weiterhin die wichtigsten Agenda Setter der internationalen Politik bleiben. Zweitens werden bald die Denkfabriken aus China, Indien und Brasilien an Bedeutung gewinnen, weil ihre Regierungen viel Geld in sie investieren. Drittens sollten europäische Institute ihre Kräfte besser bündeln, um Deutungs- und Gestaltungsmacht zu erhalten und auszubauen. Viertens müsste Europa ein Interesse daran haben, die Forschungs- und Beratungseinrichtungen in den Entwicklungsländern zu stärken, damit diese eine eigenständige Rolle in der internationalen Politik spielen können. Denn nur so kann eine legitime Gestaltung der Globalisierung gelingen, die nicht nur die Interessen der jeweils mächtigsten Akteure widerspiegelt.