Die aktuelle Kolumne

Sozialer Zusammenhalt und wirtschaftliche Teilhabe

Cash-for-Work als Instrument des Wiederaufbaus in Syrien

Zintl, Tina / Markus Loewe
Die aktuelle Kolumne (2025)

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 17.03.2025

Bonn, 17. März 2025. Nach über 50 Jahren Assad-Herrschaft und fast 14 Jahren blutigem Konflikt mangelt es in Syrien an fast allem: Nahrung, Arbeit, Gesundheitsversorgung, funktionsfähiger Infrastruktur, Wohnraum und nicht zuletzt Vertrauen. Die jüngsten Gräueltaten gegen die alawitische Minderheit zeigen, wie schnell das Misstrauen zwischen Angehörigen verschiedener Bevölkerungsgruppen und vormaligen Konfliktparteien wieder in Gewalt umschlagen kann. Bevor mit dem physischen Wiederaufbau begonnen wird, muss daher ein neuer Gesellschaftsvertrag zwischen den wesentlichen Akteur*innen geschlossen werden. Auch Übergangspräsident Ahmad al-Sharaa hat betont, wie wichtig ein solcher Gesellschaftsvertrag für einen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen ist. Ohne diesen drohen jederzeit neue Kämpfe, die die Infrastruktur wieder zerstören können.

Umgekehrt wird ein neuer Gesellschaftsvertrag aber nur halten, wenn sich die wirtschaftliche und soziale Lage aller Einwohner*innen schnell verbessert und sie das Gefühl bekommen, dass es eine Zukunftsperspektive gibt. Laut einem UN-Bericht wird Syrien selbst bei stabilen Wachstumsraten erst in 50 Jahren wieder das Niveau seines Vorkriegs-Bruttoinlandsprodukts erreichen. Es besteht also ein Henne-Ei-Problem: Wirtschaftlicher Wiederaufbau erfordert ein Mindestmaß an politischer Stabilität, die umgekehrt von einer Verbesserung der humanitären Lage abhängt.

Cash-for-Work-Programme können einen Beitrag dazu leisten, dieses Dilemma aufzulösen, da sie auf beiden Seiten der Problematik ansetzen. Hierbei handelt es sich um Beschäftigungsmaßnahmen mit einer dreifachen Dividende: Erstens helfen Cash-for-Work-Programme bei der Schuttbeseitigung, dem Wiederaufbau von Schulen, Krankenhäusern und Straßen und der Verbesserung von „grüner“ Infrastruktur wie Bewässerung oder Wiederaufforstung. Zweitens schaffen sie Arbeit, Einkommen und soziale Sicherheit in einem Land, in dem 90% der Menschen in Armut leben und in dem zuletzt zahlreiche Staatsbeamte, darunter viele Alawiten, entlassen wurden. Drittens erlauben sie den Teilnehmenden, einfache Handwerkstätigkeiten und Arbeit im Team zu erlernen, was ebenfalls besonders wichtig ist, nachdem eine ganze verlorene Generation kaum Schul- und Berufsbildung erhalten hat. Zudem können die Programme Selbstwertgefühl, Selbstorganisationsfähigkeit und Selbstreflexion der Teilnehmenden verbessern.

Zugleich tragen Cash-for-Work-Programme zur Verbesserung der sozialen Kohäsion und zur Wiedereingliederung ehemaliger Kämpfer bei. Wenn Angehörige verschiedener Konfessionen und Ethnien und Mitglieder vormals gegnerischer Konfliktparteien gemeinsam am Wiederaufbau des Landes arbeiten, trägt dies dazu bei, soziale Gräben zu überbrücken. Zusätzlich hilft, wenn die lokale Bevölkerung in die Planung der wiederaufzubauenden Infrastruktur eingebunden wird. Zudem können Frauen gestärkt werden, indem Frauenbeteiligungsquoten definiert oder Teilprojekte vornehmlich von Frauen geleistet werden. Angesichts der sunnitisch-islamisch geprägten syrischen Übergangsregierung könnte dies besonders wichtig sein, um trotz traditioneller Geschlechterrollen Frauen eine Erwerbsarbeit zu ermöglichen. Von Vorteil für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist auch, dass Cash-for-Work-Programme auch von lokalen Organisationen ohne unmittelbare Beteiligung der Zentralregierung aufgesetzt werden können.

Schließlich kurbeln Cash-for-Work-Programme auch die lokale Wirtschaft an, da die Teilnehmenden einen großen Teil ihres Lohns für Käufe in der Nachbarschaft verwenden, die Verkäufer diese Einnahmen wieder lokal ausgeben und so die zusätzliche Kaufkraft mehrfach recycelt wird. Verstärken lässt sich der Effekt, indem verwendete Baumaterialien vor Ort eingekauft werden.

Langfristig könnten Cash-for-Work-Programme sogar die Grundlage für ein nationales Sozialregister und ein modernes nationales Job-Center legen, wenn sie von Anfang an digitale Technologien einsetzen, um für die Teilnehmenden und andere Arbeitssuchende den (Wieder-)Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt vorzubereiten.

Auch wenn bei Cash-for-Work höhere Kosten durch Planungs- und Materialaufwand anfallen als bei anderen Sozialprogrammen und die Beschäftigungsdauer für die Teilnehmenden oft kurz ist, lohnt sich der Aufwand: Wie der Weltbankbericht Building for Peace betont, ist es beim Wiederaufbau kriegszerstörter Länder gleichermaßen wichtig, das soziale Gefüge und Vertrauen wiederherzustellen – sozusagen die „Software“ des jeweiligen Landes – wie auch die gebaute Infrastruktur, also seine „Hardware“. Deutsche Entwicklungszusammenarbeit hat bereits wertvolle Erfahrungen mit Cash-for-Work in Jordanien, Libanon und in der Türkei gesammelt. Ob in Syrien oder im Gaza-Streifen: Deutschland sollte auf diese Erfahrungen aufbauen und die notwendigen Mittel investieren.

Drei Monate nach dem Sturz al-Assads werden die gewaltigen Herausforderungen, vor denen die neue Führung steht, immer deutlicher. Eine Befriedung des Landes und Aussöhnung zwischen den Bevölkerungsgruppen erfordert wirtschaftliche, soziale und politische Teilhabe. Cash-for-Work kann ein wichtiger Teil der Lösung sein, da es sowohl den wirtschaftlichen Wiederaufbau als auch die Entstehung eines neuen Gesellschaftsvertrags unterstützt und dabei beträchtliche Synergien schafft.

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