Die aktuelle Kolumne

G20-Ministertreffen

Agrar- und Ernährungsthemen verdienen zentrale Rolle

Brüntrup, Michael
Die aktuelle Kolumne (2019)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), (Die aktuelle Kolumne vom 06.05.2019)

Bonn, 06.05.2019. Vor dem G20-Gipfel im Juni in Japan eröffnen die Agrarminister auch dieses Jahr wieder die Serie der Fachministertreffen der G20. Doch Landwirtschaft und Ernährungssicherung sind erst seit Kurzem wichtige Themen der internationalen Politik.

In Zeiten niedriger Agrar-Weltmarktpreise in den 1990er und 2000er-Jahren waren sie eher Nischenthemen. Sie wurden als Hemmfaktoren bei internationalen Handelsvereinbarungen wahrgenommen, als Probleme lokaler Entwicklung, und galten allenfalls in der Entwicklungszusammenarbeit als Schwerpunkte. Doch selbst dort hatten die beiden Themen oft einen schweren Stand: Der Anteil der Landwirtschaft an der gesamten internationalen Entwicklungszusammenarbeit sank von 15-20% in den 1980er Jahren auf unter 5% Ende der 1990er.

Erst mit der Agrarpreiskrise 2007/2008 änderte sich das Interesse deutlich. Mit der Verdopplung und Verdreifachung vieler internationaler Nahrungsmittelpreise in kurzer Zeit kam es zu einer weltweiten Zunahme an Armut und Hunger und zur Furcht vor globaler Nahrungsmittelknappheit. Während die Welternährungssituation vor der Krise nicht viel besser war, waren es dieses Mal  nicht die Landbewohner, sondern die städtischen Armuts- und Mitteleinkommens-Schichten, die litten. In vielen Entwicklungsländern gab es politische Unruhen. Damit schafften es Agrar- und Ernährungsthemen wieder auf die internationale Agenda. Die G8 verpflichteten sich 2009 auf ihrem Gipfel in Aquila, Italien, ihre Hilfen für Agrar- und Ernährungssicherungsthemen deutlich anzuheben. 2011 nahm die G20 die Themen auf, führte sie allerdings nach 2012 zunächst nicht weiter. Erst seit 2015 gibt es eine permanente Arbeitsgruppe „Landwirtschaft“ innerhalb der G20.

Auf der Agenda beim Agrarministertreffen am 11. und 12. Mai im japanischen Niigata stehen nun alte und neue Themen: Das Agrarmarkt-Informationssystem AMIS, 2011 das erste G20-Agrarthema, braucht eine dauerhafte Finanzierung. Die Digitalisierung der Landwirtschaft muss vorangetrieben werden. Sie war 2016 von China eingebracht worden und war ebenso ein Schwerpunkt der deutschen G20-Präsidentschaft wie die Ausstiegspläne für den Verzicht auf Antibiotika als Wachstumsförderer in der Tiermast, die jedes Land bis 2020 vorlegen soll. Nachdem 2017 Wasser und 2018 Boden schon Themen der G20 waren, kommen in diesem Jahr Agrarwertschöpfungsketten und das gesamte Nahrungssystems neu hinzu. Damit werden voraussichtlich auch weitere ökologische Probleme der Landwirtschaft wie Biodiversität und ihr Beitrag zum Klimawandel angesprochen.

Landwirtschaft heute muss sich mit sehr unterschiedlichen Herausforderungen befassen: Der Sektor konsumiert etwa 70-80% des Wassers weltweit. Dies bedeutet nicht nur eine dominante Konkurrenz zu anderen Bereichen menschlichen Wasserverbrauchs (Trinkwasser, Industrie), sondern auch für Gewässer-Ökosysteme, für die gerade in Trockenperioden oft kaum etwas übrigbleibt. Die Landwirtschaft trägt ca. 10-30% zur Emission von klimarelevanten Gasen bei – je nach Berechnung und Zuordnung, bspw. ob und wie Entwaldung und Aufforstung, Nahrungsverarbeitung oder Konsum bzw. Verschwendung dem Sektor zugeschrieben werden. Ein großer Teil der Bedrohung der Biodiversität des Planeten geht auf die Ausdehnung und Intensivierung der Landwirtschaft zurück. Auch ein erheblicher Anteil der Plastikverpackungen und der entsprechenden Umweltverschmutzung entfallen auf den Nahrungssektor. Das Nahrungssystem wird auch für einen erheblichen Teil von Krankheiten verantwortlich gemacht wie Mangelernährung oder Zivilisationskrankheiten wie Fettleibigkeit oder Diabetes.

Aber Landwirtschaft stellt nicht nur quasi per Definition einen Eingriff in die Natur dar und nutzt, verbraucht oder zerstört dabei Naturressourcen. Sie ist gleichzeitig die Quelle fast der gesamten Nahrung der Menschheit, eines großen Teils der Einkommen armer Haushalte in ärmeren Ländern, und häufig sogar der Artenvielfalt. Eine simple Verteufelung ist daher nicht hilfreich. Während sich die reichen Industrieländer sicher mehr Umwelt- und Klimaschutz in der Landwirtschaft leisten können und müssen, geht es in armen Ländern den Kleinbauern zunächst ums bloße Überleben und darum, fundamentale Bedürfnisse zu stillen. Längerfristige Überlegungen, wie die eigenen Überlebensgrundlagen erhalten werden können oder wie die Umwelt geschützt werden kann, haben oft nur wenig Platz.

Um zu tragfähigen Lösungen zu kommen, sollte nicht über die Landwirtschaft und die Landwirte, sondern mit ihnen debattiert werden. Nur gemeinsam können effiziente und realistische Strategien gefunden werden. In Entwicklungsländern ist eine Regulierung gegen die Interessen der Bauern angesichts der schwachen Durchsetzungskraft des Staates im ländlichen Raum so gut wie ausgeschlossen. Umweltschutz kann dort nur erreicht werden, wenn die Bauern von umweltfreundlichen Politiken profitieren.

Landwirtschaft und Ernährungssicherung gehören daher in die G20, wo oft sehr unterschiedliche Ernährungs- und Agrarprobleme an einem Tisch sitzen. Dort kann auch aus den Fehlern früherer Agrarstrategien in Industrieländern gelernt werden. Der Agrarsektor muss eng mit anderen Politikfeldern abgestimmt werden, in reichen Ländern eher mit den Umwelt- und Gesundheitsthemen, in Entwicklungsländern auch mit Wirtschafts- und sozialen Ressorts. Was wir brauchen, ist eine systemische Perspektive, die statt des Agrarsektors die gesamte Nahrungskette von der Produktion über die Verarbeitung bis zum Verbrauch und zur Abfallwirtschaft betrachtet.

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