Die aktuelle Kolumne
Prioritäten und Koalitionen statt Illusionen
Wie die Verbindung von Digitalisierung und Umwelt gelingen kann
Lucatello, Simone / Wulf ReinersDie aktuelle Kolumne (2024)
Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 13.02.2024
Bonn, 13. Februar 2024. Digitalisierung und Umweltbelange müssen systematisch miteinander verbunden werden. Andernfalls droht der ökologische Fußabdruck der Digitalisierung ihre Vorteile zu überwiegen.
Die Digitalisierung verfügt über großes Potenzial für nachhaltige Entwicklung. Doch die Vorteile der Digitalisierung werden mit einem hohen ökologischen Preis bezahlt. Um die digitale Transformation mit der Bewältigung der ökologischen Krise zu verbinden, müssen ihre Umweltauswirkungen ausgewiesen und Umweltvorteile vorrangig berücksichtigt werden. Internationale sektorenübergreifende Koalitionen können dazu den Weg ebnen.
Positiv auf die Umwelt wirken digitale Technologien, wenn die Sammlung und Analyse großer Datenmengen die Umsetzung umweltfreundlicher Lösungen in den Bereichen Energie, Landwirtschaft oder Mobilität ermöglichen. Digitalisierung optimiert Energieeffizienz und industrielle Prozesse durch virtuelle Modelle (digitale Zwillinge) oder ermöglicht durch intelligente Netzsteuerung die Integration erneuerbarer Energien. Sie kann Re-Design, Reparatur, Recycling und Vertrieb im Sinne einer Kreislaufwirtschaft unterstützen. Precision Farming optimiert den Einsatz von Düngemitteln und Wasser in der Landwirtschaft, und Smart City- und Mobilitätskonzepte können Staus und Emissionen verringern, ebenso wie IT-basierte Heimarbeit.
Unter dem Strich hat der Einsatz digitaler Werkzeuge jedoch bis heute kaum zur Verbesserung der Umweltbilanz geführt: Industrien und Konsumgüter werden digitaler, aber oft auf Kosten einer Zunahme negativer Folgen. Dazu gehören Energieverbrauch, Treibhausgasemissionen, Elektroschrott und Ressourcenverbrauch. Rebound-Effekte spielen hier eine wichtige Rolle. Sie treten auf, wenn positive Auswirkungen der Digitalisierung, zum Beispiel Effizienzgewinne, zur höheren Attraktivität eines Produkts oder einer Dienstleistung und in Folge zu mehr Verkäufen oder vermehrter Nutzung führen. Ursprünglich erzielte Einsparungen werden dabei zunichte gemacht.
Der Energieverbrauch von digitalen Infrastrukturen, Diensten und Geräten, insbesondere bei ihrer Herstellung, ist ein zentrales Problem. Sensoren, Server, Rechenzentren, das Trainieren von künstlicher Intelligenz, Online-Streaming und WLAN-Router – sie alle haben einen enormen CO2-Fußabdruck, solange die Energie aus fossilen Quellen stammt. Hardware ist auf seltene Erden angewiesen, deren Abbau zur Zerstörung von Lebensräumen führen kann. Ein Beispiel dafür ist Lithium. Das Element ist für Batterien und damit für Elektromobilität von entscheidender Bedeutung, doch seine Gewinnung bedroht das Ökosystem Wüste. Die Gewinnung von Materialien findet zudem häufig in Entwicklungsländern unter Bedingungen statt, die der Bevölkerung vor Ort schaden.
Das gilt auch für die Entsorgung von Elektroaltgeräten. Elektroschrott gehört zu den am schnellsten wachsenden Abfallsorten. Selbst in der EU, der Region mit der mit Abstand höchsten Recyclingquote weltweit, werden weniger als 40 % wiederverwendet. Hinzu kommen Wasserprobleme: Die Kühlung von Rechenzentren erfordert erhebliche Mengen und kann Wasserkonflikte verschärfen. Googles Hyperscale-Rechenzentren, die für Gmail, Google Drive und YouTube gebraucht werden, verbrauchen 2,1 Millionen Liter Wasser – täglich.
Digitalisierung und Umweltbelange müssen deshalb endlich systematisch zusammengeführt werden. Dazu ist es notwendig, sich von Illusionen über technische Wunderlösungen zu verabschieden und digitale Innovationen dort einzusetzen, wo sie der Umwelt wirklich nützen. Dies beginnt mit der Erfassung und Ausweisung der ökologischen Kosten von Produkten und Dienstleistungen während Produktion, Nutzung und Entsorgung. Die politische Steuerung sollte Effizienzgewinne der Digitalisierung in den Sektoren Energie, Produktion, Mobilität und Gebäude priorisieren. Um Ziele und Kommunikation abzustimmen, sind Multi-Stakeholder-Koalitionen zwischen öffentlichen Einrichtungen, Forschung, Tech-Community und Umweltverbänden entscheidend. Neue Initiativen im Rahmen des EU Green Deal zu Ökodesign und digitalen Produktpässen, Verbraucherinformationen und der Reparatur von Waren können negative Umweltauswirkungen verringern, wenn sie die Folgen auch außerhalb der EU, einschließlich der Entwicklungsländer, berücksichtigen. Folglich muss die Verbindung von Umwelt und Digitalisierung auch in internationalen Prozessen wie dem Global Digital Compact der Vereinten Nationen, der G20, bilateralen Handels- und Technologieräten und digitalen Dialogen vorrangig behandelt werden. Auf diese Weise ist es möglich, die Digitalisierung umweltfreundlicher zu gestalten und gleichzeitig ihre Lösungen für ökologische Nachhaltigkeit zu nutzen.
Simone Lucatello ist Professor des Instituto Mora in Mexiko-Stadt. Er war PRODIGEES/MGG-Gastwissenschaftler am IDOS im Jahr 2023. Als Autor globaler Umweltberichte für die Vereinten Nationen widmet er sich in seiner Forschung der internationalen Zusammenarbeit und dem Klimawandel.
Wulf Reiners ist Politikwissenschaftler im IDOS-Forschungsprogramm "Inter- und transnationale Zusammenarbeit". Er ist Leiter des ‚Managing Global Governance‘ (MGG)-Programms und wissenschaftlicher Koordinator des PRODIGEES-Projekts.
Diese Kolumne ist im Rahmen des EU Horizon2020-Projekts „PRODIGEES – Promoting Research on Digitalisation in Emerging Powers and Europe Towards Sustainable Development“ (873119-PRODIGEES‑H2020-MSCA-RISE-2019), ko-finanziert von der Europäischen Union, entstanden. Weiterführende Informationen finden Sie unter www.prodigees.info.