Die aktuelle Kolumne
Global oder gar nicht
Der Europäische Green Deal muss ein Globaler Green Deal werden
Reiners, Wulf / Sven GrimmDie aktuelle Kolumne (2020)
German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 14.12.2020
Letzten Freitag, am 11. Dezember 2020, hat sich der Europäische Rat auf striktere Klimaziele verständigt. Die Staats- und Regierungschefs billigten das verbindliche Ziel der EU, die Treibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent bis zum Jahr 2030 zu reduzieren. Die Entscheidung steht im Zusammenhang mit Europas Zielsetzung, sein Wirtschaftsmodell grundlegend in Richtung Nachhaltigkeit zu verändern. Dieser Plan wurde von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf den Tag genau ein Jahr zuvor, am 11. Dezember 2019, als Europäischer Green Deal vorgestellt. Der Green Deal stellt die Antwort der EU auf den Klima- und Umweltnotstand dar. Zentrales Ziel ist es, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Mit der Corona-Pandemie im Jahr 2020 wurde der Green Deal auch zur EU-Strategie für die wirtschaftliche Erholung nach der Krise.
Auf der internationalen Bühne hat diese Strategie jedoch gemischte Reaktionen hervorgerufen. Einerseits kann die EU auf vergleichbaren Zielsetzungen wichtiger internationaler Partner aufbauen. Japan und Südkorea haben angekündigt, bis 2050 kohlenstoffneutrale Volkswirtschaften werden zu wollen. Der designierte US-Präsident Joe Biden hat mit demselben Versprechen seinen Wahlkampf geführt, und China hat ein ähnliches Ziel für das Jahr 2060 formuliert. Auf der anderen Seite hat Russland gedroht, die EU bei der WTO wegen eines geplanten CO2-Grenzausgleichssystems zu verklagen, mit dem Emissionssteuern auf Importe in die EU erhoben werden könnten. Brasilien und Indonesien haben die Versuche der EU, ihre Klimaziele über den Handel durchzusetzen, als eine neue Form von „Kolonialismus“ bezeichnet.
Mit ihren starken strukturellen wirtschaftlichen Möglichkeiten haben Länder wie Brasilien, China, Indien, Indonesien, Mexiko und Südafrika international an Gewicht gewonnen. Ihr Engagement für Global Governance – etwa durch Süd-Süd-Kooperation, die Gruppe der BRICS oder die G20 – verschafft ihnen internationale Schlagkraft. Sie haben großen Einfluss auf die politische Akzeptanz einer Transformation zu Nachhaltigkeit. Alle diese Länder haben großes Potenzial in Bezug auf erneuerbare Energien, und sie bergen zahlreiche globale ökologische Schätze. Gleichzeitig leiden sie unter einem hohen Maß an Umweltzerstörung, -verschmutzung und CO2-Emissionen.
Zusammenarbeit kann den Green Deal global ausrichten
Eine enge Zusammenarbeit mit diesen Akteuren beim Green Deal ist zwingend erforderlich. Die EU unterhält strategische Partnerschaften mit China, Indien, Brasilien, Mexiko und Südafrika und hat eine Schlüsselposition als Handelsmacht inne. EU-Standards und Politiken haben Auswirkungen auf die Exportpartner und können weltweit Vorbildcharakter haben. Im Rahmen des Green Deals versucht die EU, Nachhaltigkeit und ökologische Transformation in Handelsabkommen aufzunehmen. Die laufenden Diskussionen über eine vertiefte Zusammenarbeit, etwa über die „Roadmap to 2025“ zwischen der EU und Indien oder das Freihandels- und Assoziierungsabkommen zwischen der EU und MERCOSUR, bieten aktuelle Möglichkeiten, Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft (Indien) oder digitale Wirtschaft, Umweltschutz und Meerespolitik (MERCOSUR) zu behandeln. Die EU könnte auch ihre „Green-Deal-Diplomatie“ stärken, indem sie gegenüber Emittenten außerhalb der EU, die weniger ehrgeizige Klimaziele verfolgen, entschlossener vorgeht und wirtschaftliche Maßnahmen mit Klimaschutz verknüpft.
Kenne deine Partner – und arbeite am Narrativ
Bessere Kenntnisse über die Sichtweisen der zentralen globalen Partner und ein breites Repertoire an Instrumenten sind erforderlich, um ein gemeinsames Verständnis als Grundlage für Zusammenarbeit aufbauen und auf spezifische Bedürfnisse der Partner eingehen zu können. Das Managing Global Governance (MGG) Netzwerk des DIE hat zusammen mit dem Finnish Institute of International Affairs und der Konrad-Adenauer-Stiftung eine Reihe von Forschungs-, Publikations- und Politikdialogformaten rund um den Green Deal der EU initiiert. Gemeinsam mit Partnern aus aufstrebenden Schwellenländern untersucht die neue Initiative systematisch Chancen und Hindernisse, die mit der Außendimension des Green Deals verbunden sind.
Erste Analysen zeigen, wie etwa Chinas Stahlindustrie durch den Mechanismus des Grenzausgleichs für Kohlenstoffe betroffen sein dürfte. Gleichzeitig könnte ein Green Deal mit China dessen Bemühungen um CO2-Kompensation aufgreifen und Kooperation in den Bereichen Digitalisierung oder „Green Finance“ (Grünes Finanzwesen) betonen. Die Zusammenarbeit mit Indonesien könnte auf den bereits bestehenden Beiträgen der EU zu Indonesiens Klimapolitik und den europäischen Erfahrungen bei der Energiewende aufbauen. Jegliche Art von Green Deal zwischen der EU und Russland wird die massiven Auswirkungen des Green Deals im Energiesektor auf Russlands Öl- und Gasexporte berücksichtigen müssen. Russland versteht den europäischen Green Deal eher als geopolitisches, denn als ökologisches Instrument. Dennoch könnte Kooperation in Emissionsreduzierungen münden, zum Beispiel durch gemeinsame Projekte im Bereich Energieeffizienz.
Es wird für die EU jedoch nicht ausreichen, die länderspezifischen Ansatzpunkte für eine Zusammenarbeit zu verstehen; sie muss auch ein Green-Deal-Narrativ entwickeln, das den Anliegen der Partner gerecht wird. Zum Beispiel dürfte in Südafrika die Verbindung des Green Deal mit der Schaffung von Arbeitsplätzen unverzichtbar sein. In Indien könnte hingegen Europas historische Verantwortung auch mit Blick auf globale Erwärmung Teil des Narrativ werden. Auf solch einer Grundlage kann aus dem europäischen Green Deal ein echter Deal werden: ein globaler Green Deal.