Die aktuelle Kolumne

Zwischen Demokratie und Autokratie

Das Superwahljahr 2024 in Asien

Lorch, Jasmin
Die aktuelle Kolumne (2024)

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 04.03.2024

Bonn, 4. März 2024. Beim Stichwort Wahlen denken wir derzeit oft zuallererst an die USA, wo Donald Trump bald erneut ins Weiße Haus einziehen könnte, oder an die anstehenden Landtags- und Europaparlamentswahlen, bei denen ein Rechtsruck droht. Doch auch in Asien ist 2024 Superwahljahr. Hier zeigt sich, welch vielgestaltige Rolle Wahlen für Demokratie und Autokratie spielen können.

In Indien, der größten Demokratie der Welt, geht die hindu-nationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) von Premierminister Narendra Modi als Favoritin in die Parlamentswahlen. Am 14. Februar 2024 wurde in Indonesien, der drittgrößten Demokratie der Erde, ein neuer Präsident gewählt. Vorläufigen Auszählungen zufolge siegte der Ex-General Prabowo Subianto. Höchst einseitige Wahlen fanden am 7. Januar 2024 in Bangladesch statt. Die autoritär regierende Awami League (AL) von Premierministerin Sheikh Hasina gewann. In Pakistan, wo das Militär großen Einfluss ausübt, konnte die Opposition die Wahlen vom 8. Februar 2024 dagegen immerhin dazu nutzen, sich öffentlich Gehör zu verschaffen.

Wahlen als Wegscheide: In Indien und Indonesien könnten sich die diesjährigen Wahlen als Wegscheide für die Demokratie erweisen. Premierminister Modi wurde 2014 und 2019 gewählt und ist in der Bevölkerung populär.  Jedoch nahm die Diskriminierung religiöser Minderheiten unter der BJP stark zu. Menschenrechtsaktivist*innen werden verfolgt, die Freiräume der Opposition beschnitten. Bereits 2021 kategorisierte V-Dem Indien als Wahlautokratie.

Zu den Gründen zählten die Beschränkung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit aber auch die abnehmende Qualität der Wahlen, unter anderem aufgrund der abnehmenden Autonomie der Wahlkommission, Defiziten beim Wahlregister und Einschüchterung. Falls Modi von 2024 bis 2029 erneut regiert, könnten unabhängige Checks-and-Balances so stark geschwächt werden, dass Indiens Transformation in eine Autokratie nur noch schwer umzukehren ist.

Laut bisherigen Auszählungen gaben 57-59% der Indonesier*innen Prabowo ihre Stimme. Dabei ist er der Schwiegersohn des früheren Militärherrschers Suharto, und es werden ihm schwere Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt. Im Wahlkampf inszenierte sich Prabowo als gutmütiger Onkel, wiederholt wagte er ein Tänzchen. Zudem verbündete er sich mit seinem ehemaligen Erzrivalen, dem derzeitigen Präsidenten Joko Widodo („Jokowi“), der einst als liberaler Hoffnungsträger galt. Jokowis Sohn kandidierte zusammen mit Prabowo und wird nun dessen Vizepräsident.

Wahlen als Instrument autokratischer Herrschaft: Sind autokratische Kräfte an der Macht, so nutzen sie unfreie Wahlen oft gezielt, um ihre Herrschaft zu legitimieren und zu stärken. So kontrollierte in Bangladesch die regierende AL den Ausgang der Wahlen strikt. Repräsentant*innen der AL wurden als unabhängige Kandidat*innen präsentiert. Laut Opposition wurden bis zum Wahltag rund 20.000 politische Gegner*innen verhaftet. In Kambodscha hielt im Sommer 2023 die Cambodian People’s Party Wahlen ab, um ihre autoritäre Einparteienherrschaft zu zementieren und Posten innerhalb von Partei und Regierung neu zu verteilen. Auch hier nahm die Repression vor den Wahlen zu. So wurde etwa Voice of Democracy verboten, das letzte unabhängige Medium des Landes. 

Wahlen als Freiraum in Autokratien: In anderen autokratischen Kontexten bieten Wahlen indes eine Chance für Opposition und Zivilgesellschaft, Anhänger*innen zu mobilisieren und demokratische Defizite aufzuzeigen. In Pakistan war das Militär zeitweise selbst an der Macht; derzeit dominiert es hinter den Kulissen die Politik. Bei den Wahlen im Februar gewannen unabhängige Kandidat*innen um den inhaftierten ehemaligen Premierminister Imram Khan dennoch mehr Sitze als augenscheinlich vom Militär gestützte Kandidat*innen. Die Regierung dürfen sie nicht bilden. Bereits vor den Wahlen prangerten Khans Unterstützer*innen Wahlbetrug an – und tun dies immer noch. In Thailand hatte sich das Militär 2014 an die Macht geputscht und dann eine Verfassung ausgearbeitet, die seine Rolle als Veto-Spieler zementiert. Dennoch gewann im Mai 2023 die progressive Fortschrittspartei, die aus einer breiten Bürgerbewegung hervorgegangen war, die Parlamentswahlen. Wenngleich auch ihr der Zugang zur Macht verwehrt bleibt, so halfen ihr die Wahlen doch, Anhänger*innen zu mobilisieren und ihre Forderungen öffentlich zu machen.

Welche Rolle Wahlen für Demokratie und Autokratie spielen, hängt von vielen Faktoren ab. Hierzu zählt nicht nur, ob Wahlen am Wahltag selbst frei sind, sondern auch, ob die Bevölkerung sich frei informieren kann und ob Opposition und Zivilgesellschaft ungehindert agieren können. Freie und faire Wahlen sind das Herzstück der Demokratie, doch auch die Bindung einer gewählten Regierung an Recht und Gesetz, der Schutz von Minderheiten und die Ermöglichung bürgerlicher Mitsprache sind unabdingbar. Denn auch undemokratische Akteur*innen können ihre Ziele über Wahlen verfolgen.  In autoritären Kontexten können Wahlen sowohl zum Instrument der Unterdrückung werden als auch demokratische Freiräume eröffnen. Überall braucht Demokratie nicht nur Wahlen, sondern auch Demokrat*innen.

Über die IDOS-Autorin

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