Berlin, 25.04.2016. „Das Wachstum der Städte ist so ungeheuer, dass es dringend in neue Bahnen geleitet werden muss“, sagt der WBGU Ko-Vorsitzende Dirk Messner, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik. Würden in den Städten der Entwicklungs- und Schwellenländer immer neue Siedlungen mit Zement und Stahl gebaut, könnte allein die energieaufwändige Herstellung dieses Baumaterials bis 2050 soviel Treibhausgase freisetzen, dass damit das weltweite Emissionsbudget unter dem 1,5 °C Ziel bereits beinahe aufgebraucht wäre. Dabei gibt es Alternativen, etwa den Bau mit Holz und anderen natürlichen Baumaterialien. „Ohne entschlossenes politisches Handeln und internationale Zusammenarbeit würden durch den Ressourcenbedarf und den CO2-Ausstoß des Städtebaus die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit gefährdet“, so Messner.
Streben nach Nachhaltigkeit in Metropolen und Slums
Es geht auch um die Lebensbedingungen der Menschen in den Städten. Bereits heute leben mehr als 850 Millionen Menschen in unzumutbaren Wohnverhältnissen. In Afrika südlich der Sahara wohnen rund zwei Drittel der Stadtbevölkerung in Slums, in Asien etwa ein Drittel. In Asien und Afrika ist der Urbanisierungsdruck besonders stark, 90 % des Wachstums der globalen Stadtbevölkerung werden hier erwartet. Die aktuellen Fluchtbewegungen zeigen, wie schwer es selbst wohlhabenden Staaten fällt, raschen Zuzug in ihre Städte zu bewältigen. Bis 2050 könnte sich die Zahl der in unzumutbaren Wohnverhältnissen lebenden Menschen um 1 bis 2 Milliarden erhöhen.
„Daher müssen besonders die Lebensbedingungen der Ärmsten in den Mittelpunkt der Stadtentwicklung rücken“, so Messner. Diesen fundamentalen Perspektivwechsel der urbanen Agenda will der WBGU auf der anstehenden UN-Konferenz Habitat III anstoßen.
„Eine Stadt wie Hong Kong in ihrer extremen Verdichtung ist nur lebensfähig, weil sie Erdöl, Metalle, Lebensmittel aus dem Umland und der ganzen Welt aufsaugt, verdaut und die Rückstände wie Müll, Schmutzwasser, Abgase ins Umland ausstößt“, erklärt Hans Joachim Schellnhuber, WBGU Ko-Vorsitzender und Direktor des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. „Die Dezentralität der Erzeugung erneuerbarer Energien, der Kreislaufwirtschaft und auch etwa der digitalen Ökonomie ermöglicht aber die Entdichtung – und erfordert diese teils. Die polyzentrische Integration in Regionen wie das sich neu erfindende deutsche Ruhrgebiet oder die San Francisco Bay Area können Modelle für Urbanität der Zukunft sein.“
Globale Bedingungen für nachhaltige Stadtgesellschaften schaffen
Im Gegensatz zur großen Bedeutung des Themas Urbanisierung für die Transformation zur Nachhaltigkeit sind die entsprechenden internationalen Institutionen nur schwach aufgestellt.
Um die Auseinandersetzung mit Urbanisierung und Transformation weltweit zu intensivieren, sollten sich die G20 des Themas dauerhaft annehmen. Dabei kommt der deutschen Bundesregierung mit ihrer G20-Präsidentschaft 2017 eine Schlüsselrolle zu. Sie sollte das Thema auf die Agenda setzen.
Das UN-Programm für Siedlungswesen (UN-Habitat) sollte reformiert und gestärkt werden, so dass dessen Gestaltungsmöglichkeiten und Wirkmächtigkeit mindestens auf Augenhöhe mit Programmen wie UNEP sind.
Regelmäßige wissenschaftliche Sachstandsberichte würden helfen, in der internationalen Staatengemeinschaft das Bewusstsein für Urbanisierung zu fördern und den bestehenden Handlungsbedarf für die Transformation in Richtung Nachhaltigkeit zu präzisieren. Ein solcher Ausschuss könnte, ähnlich wie der Weltklimarat (IPCC), eine integrierte Begutachtung des wissenschaftlichen Sachstands zur globalen Urbanisierungsdynamik durchführen.
Ausgewählte Kernempfehlungen für urbane Transformationsfelder
Klima und Ressourcen
Menschenorientierte Städte
Städte und internationale Politik
Forschung
Der WBGU: Politikberatung zum Globalen Wandel
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) wurde 1992 im Vorfeld der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung („Erdgipfel von Rio“) von der Bundesregierung als unabhängiges wissenschaftliches Beratergremium eingerichtet. Der WBGU hat die Aufgabe globale Umwelt- und Entwicklungsprobleme zu analysieren und zur Lösung dieser Probleme Handlungs- und Forschungsempfehlungen zu erarbeiten.
Hans Joachim Schellnhuber und Dirk Messner sind die beiden Ko-Vorsitzenden des WBGU.